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Die Attentate in Frankreich: Ein Land steht unter Schock

Frankreich im Zeichen der Trauer - und der Wut. Die Ermittlungen nach den brutalen Anschlägen erbrachten bisher vor allem eines: Der Täter ging äußerst kaltblütig vor. Die Staatsanwalt stuft den „Roller-Mörder“ als terroristischen Täter ein.

Es sind bewegende Szenen, in denen Frankreich seine Trauer um die Opfer des blutigen Überfalls vom Montag auf ein jüdisches Kolleg in Toulouse bekundet. Das Land steht unter Schock. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.

Wie reagiert Frankreich auf die Mordserie?

An allen Schulen des Landes wurde am Dienstagmorgen um elf Uhr zum Gedenken der Toten der Unterricht für eine Minute unterbrochen. Nationalversammlung und der Senat legten ebenfalls Schweigeminuten ein. Staatspräsident Nicolas Sarkozy schloss sich der Gedenkminute in einer Pariser Schule an. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande gedachte der Opfer in einer anderen Schule der Hauptstadt.

Am Abend zuvor waren Tausende Menschen in Toulouse und Paris zu Schweigemärschen auf die Straße gegangen. Zur selben Zeit nahmen der Präsident und sein Herausforderer an einer Lesung von Psalmen in der Pariser Nazareth-Synagoge teil. Beide hatten am Montag sofort ihren Wahlkampf unterbrochen. Am Dienstagabend erwies der Präsident den vier Opfern, dem 30-jährigen Lehrer Jonathan Sandler, seinen beiden Kindern Arieh (5) und Gabriel (4) sowie der siebenjährigen Myriam Monsonego, eine letzte Ehre am Pariser Flughafen.

Von dort wurden die Särge zur Bestattung nach Israel geflogen. Die drei Kinder haben die französische und israelische Staatsbürgerschaft, der Lehrer nur die französische. „Es ist wunderbar, wie Frankreich reagiert“, sagte Richard Pasquier, Präsident des Rats der repräsentativen jüdischen Institution Frankreichs (Crif). Juden und Muslime demonstrieren angesichts der Bluttat Geschlossenheit. Am Sonntag wollen sie sich auf einen gemeinsamen Schweigemarsch in Paris begeben.

Wo stehen die Ermittlungen?

Die französische Justiz hat die Anschläge als terroristische Taten eingestuft. Der zuständige leitende Staatsanwalt François Molins begründete das auf einer Pressekonferenz in Paris mit der rassistischen und auch antisemitischen Natur der Taten sowie der Entschlossenheit des Täters. Eine Wiederholungstat sei nicht auszuschließen, sagte er. Die auf Terrorismusfälle spezialisierte Pariser Staatsanwaltschaft hat daher zwei Ermittlungsrichter nach Toulouse geschickt. Sie sollen die Arbeit der rund 200 Fahndungsbeamten vor Ort koordinieren.

Auf die Frage, wer den Überfall auf die Schule verübt und zuvor vergangene Woche ebenfalls in Toulouse sowie in Montauban die tödlichen Schüsse auf drei Fallschirmjäger gefeuert hat, haben die Ermittler noch keine Antwort. „Wir wissen nicht, wer es ist“, sagte Innenminister Claude Guéant. Nach ballistischen Untersuchungen ist sicher, dass bei den drei Taten dieselbe Waffe, eine Pistole vom Kaliber 11,43, verwendet wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich auch um ein und denselben Täter. Bei allen drei Anschlägen war er mit einem am 6. März in Toulouse gestohlenen Motorroller Yamaha TMax 530 unterwegs. Für ein Phantombild reichten die vorhandenen Erkenntnisse bislang nicht aus.

Video-Aufzeichnungen von insgesamt 6800 Stunden müssten noch ausgewertet, alle Zeugenaussagen überprüft werden. Keine Spur werde ausgelassen. Er könne auch noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit bestätigen, dass der Täter eine Mini-Kamera dabei hatte.

Vertreter der jüdischen und der muslimischen Glaubensgemeinschaften warnten vor Spekulationen über die Motive des Täters. Angesichts der nordafrikanischen Wurzeln der getöteten Soldaten und der jüdischen Herkunft der Anschlagsopfer in der Schule waren neonazistische, fremdenfeindliche Motive vermutet worden.

Wie ging der Täter vor? Gibt es Anzeichen für Mittäter?

Wie ging der Täter vor?

Die Fahnder sind davon überzeugt, dass er sehr professionell vorging. Er habe sorgfältig darauf geachtet, weder Fingerabdrücke noch DNA-Spuren zu hinterlassen. Guéant bestätigte eine Zeugenaussage, nach der der Täter eine Kamera an der Brust befestigt hatte, die es ihm ermöglichte, das Geschehen aufzuzeichnen und es sich dann auf dem Computer anzusehen oder es ins Internet zu stellen.

Wenn der Täter sein Tun filmte, ließe das nach Guéant Rückschlüsse auf dessen psychologisches Profil als eines „sehr kalten, sehr entschlossenen, sehr kontrollierten und sehr grausamen“ Mannes zu. Den Eindruck eines „rücksichtslos, gezielt handelnden Täters“, bestätigte Nicole Yardeni, Präsidentin des Crif-Regionalverbands, die das Video der Überwachungskamera am Schuleingang sehen konnte. Ein Augenzeuge berichtete, wie der Täter nach den Schüssen auf Lehrer Sandler und seine beiden Kinder die siebenjährige Myriam in den Schulhof verfolgte, sie an den Haaren festhielt und mit einem Kopfschuss tötete.

Experten der Polizei von Toulouse, verstärkt durch Spezialisten des Pariser Antiterrordezernats, des Inlandsgeheimdienstes und des militärischen Nachrichtendienstes, werten das Video von der Schule aus, durchforsten das Internet nach Aufnahmen von den Attentaten, die der Täter ins Netz gestellt haben könnte, und untersuchen die Kontaktadressen, die sich auf die Anzeige eines der getöteten Fallschirmjägers meldeten, der sein Motorrad zum Verkauf angeboten hatte.

Gibt es Anzeichen für Mittäter?

Ob der Täter allein handelte oder eine Gruppe hinter sich hatte, ob er, wie zunächst angenommen, islamistischen Kreisen angehört oder, wie jetzt auch vermutet wird, der Szene von Rechtsextremisten zuzurechnen ist, sind Fragen, auf die Ermittler noch keine Antwort haben. Als mögliches Motiv wurde auch ein Racheakt eines der Fallschirmjäger genannt, die 2008 wegen neonazistischer Umtriebe unehrenhaft entlassen worden waren. Sie hatten in dem Regiment gedient, dem die jetzt getöteten Soldaten angehörten. Einer vor ihnen war vergangene Woche vorübergehend festgenommen, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

„Wir geben keiner Hypothese den Vorzug, schließen aber auch keine aus“, sagte ein Ermittler. Als ernst gilt jedoch die Gefahr, dass der Täter, der sich wohl für übermächtig hält, wieder zuschlagen könnte. Für die Region Toulouse wurde daher die Stufe „écarlate„ (scharlachrot) ausgerufen, die höchste Stufe vor dem Notstand. Gemischte Patrouillen von Polizei und Militär sichern Bahnhöfe, Straßen, Plätze und öffentliche Gebäude. Ein besonderer Schutz gilt jüdischen Einrichtungen.

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