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Laut und deutlich. Anhängerinnen der Muslimbrüder demonstrieren am Freitag in Kairo für eine Rückkehr Mohammed Mursis auf den Präsidentenstuhl. Foto: Mohammed Saber/dpa

© dpa

Politik: Ein Land zerreißt sich

Ägypten ist nach dem Militärputsch tief gespalten – auch innerhalb der Muslimbruderschaft kommt es nun zu Spannungen.

Mindestens 20 Mal hintereinander schrie der Mann auf der Rednerbühne diesen einen Satz ins Mikrofon: „Wir sind die Revolution.“ Es scheint alles gesagt zu sein in dem erbitterten ägyptischen Machtkampf zwischen Anhängern und Gegnern des von der Armee gestürzten Mohammed Mursi. Beide Lager reklamieren das Recht auf ihrer Seite. Die Muslimbrüder fühlen sich als die legitimen Wahlgewinner und wollen die Rückkehr des islamistischen Präsidenten an die Macht erzwingen. Die Allianz auf dem Tahrir- Platz, die seit dem Einschreiten der Streitkräfte eine Übergangsführung zusammenstellt, sieht sich als Retter der Ideale der Revolution und als eigentlicher Repräsentant des Volkswillens.

Am Freitag strömten ihre Anhänger wieder in Scharen zu dem berühmten Kreisverkehr, um dort zum Sonnenuntergang das Fastenbrechen im Ramadan zu feiern. Die Muslimbruderschaft konterte mit Hunderttausenden, die sich erneut um die Rabaa-Adawiya-Moschee in Nasr City scharten. Und genauso, wie es den jungen Rebellen der Tamarud-Bewegung langsam dämmert, dass sie vielleicht nur von Drahtziehern des alten Mubarak-Regimes vor deren Machtkarren gespannt wurden, gärt es auch in den Reihen der jungen Islamisten. Zum ersten Mal begehrte der fromme Nachwuchs diese Woche offen gegen den harten Konfrontationskurs seiner Führung auf. „Andere vor den Kopf stoßen, die fehlende Modernisierung des 80 Jahre alten internen Verhaltenskodex sowie ein Mangel an jungen Führungskräften: Das sind alles Schwächen, die den Sturz von Mursi mit verursacht haben“, sagt Ahmed Yahya, Sprecher der Dissidentengruppe „Muslimbrüder ohne Gewalt“, die sich am Tag nach dem Militärputsch gründete und zur Keimzelle einer Spaltung der islamistischen Organisation werden könnte.

Wäre Mursi auf die Forderungen der Opposition nach einer Koalitionsregierung, nach vorgezogenen Neuwahlen für das Präsidentenamt oder ein Referendum eingegangen, hätte er Ägypten eine Menge Aufruhr erspart, sagen die jungen Kritiker. Im Visier haben sie den Murschid, den obersten Führer der Organisation, Mohammed Badie, und seinen Vize, den reichen Geschäftsmann Khairat al Shater, beides Hardliner. Wie die Rebellenbewegung Tamarud wollen auch die islamistischen Dissidenten Unterschriften sammeln, um den Rücktritt der beiden zu erzwingen. „Wir annullieren vorübergehend unseren Schwur des blinden Gehorsams gegenüber dem Murschid und fordern eine neue reformbereite Spitze, die uns führt und den Verfall unseres Ansehens stoppt“, erklärte Ahmed Yahya. Das kompromisslose Agieren im vergangenen Jahr habe die Muslimbruderschaft an den Rand des Abgrunds geführt und zunichte gemacht, „was in acht Jahrzehnten historischer Anstrengung geleistet worden ist“.

Und so steht für die jungen Kritiker eine Rückkehr von Mursi auf den Präsidentenstuhl im Gegensatz zu den Zehntausenden ihrer Mitdemonstranten nicht mehr im Zentrum. Sie plädieren dafür, dass sich die Muslimbruderschaft am nationalen Dialog und der Gestaltung der Übergangsphase konstruktiv beteiligt. Bedingung dafür sei die Freilassung Mursis, eine unparteiische Untersuchung des Blutbads am vergangenen Montag mit 53 Toten sowie ein Ende der Hatz auf führende Funktionäre – Forderungen, die am Freitag auch die USA und Deutschland erhoben. Es dürfe keine politische Verfolgung geben, jeder Anschein von selektiver Justiz in Ägypten müsse vermieden werden, sagte Außenminister Guido Westerwelle: „Eine Rückkehr zur Demokratie kann nur gelingen, wenn alle politischen Kräfte den demokratischen Transformationsprozess mitgestalten können.“

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