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Politik: Ein Licht im achten Stock

Es sollte der Gipfel werden, auf dem Europa seine Finanzkrise in den Griff bekommt. Doch schon im Vorfeld wurden zwei Gipfel daraus. Im Wettlauf gegen die Zeit ringen Merkel und Sarkozy in Brüssel um ihre Prinzipien

Historische Momente hat es in der Geschichte der Europäischen Union viele gegeben. Sie waren stets von langer Hand vorbereitet. Beschlüsse fielen, wenn sie nach allen Seiten hin abgesichert waren. Europa hatte sein eigenes Zeitmaß. Das soll es nun verlieren an diesem Samstagabend, da das Brüsseler Europaviertel im Dunkeln liegt und nur oben im Justus-Lipsius-Gebäude noch Licht brennt.

Am grau-rosa Granitblock des EU-Ratsgebäudes, in dem wichtige Vorentscheidungen für das Schicksal des Euro fallen sollen, rauscht wie immer der Verkehr die Rue de la Loi hinunter. Durch die Straßenschlucht pfeift ein kalter Wind. Es ist 21 Uhr, der große Showdown um die Rettung der Gemeinschaftswährung hat begonnen.

Am Rond Point Schuman, dem Kreisel vor dem Ratsgebäude, verharrt eine Gruppe von Pfadfindern, die sich in das Viertel mit den Palästen aus Granit, Glas und Stahl verirrt hat. Interessiert betrachten sie die Szenerie mit den zuckenden Blaulichtern, den letzten noch ausharrenden Kameraleuten und den Polizisten, die die Straße absperren. Ein Mädchen aus der Gruppe fragt kichernd, nach wem denn dieser Platz benannt ist und wer denn eigentlich dieser Schuman sei. Von ihren Pfadfinder-Freunden erntet sie nur Achselzucken. Sie können nichts anfangen mit dem Namen des französischen Außenministers Robert Schuman. Der entwickelte vor über 60 Jahren die entscheidende Vision, aus der später die Europäische Union wurde.

Doch Schuman ist sowieso eher ein Name für weihevolle europäische Feierstunden, nicht für Krisentage wie diese und nicht für das Tempo, das sie seinen Nachfolgern abverlangen. Griechenland muss gerettet, die Ansteckung schwächelnder Länder wie Italien und Spanien soll verhindert, die Banken müssen mit genügend Kapital versorgt, der Euro-Krisenfonds EFSF durch den berüchtigten „Hebel“ verstärkt werden – derart erdrückend wirkt die Brüsseler Agenda, die die Staats- und Regierungschefs dieser Tage abarbeiten müssen.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy sich am Samstagabend um 21 Uhr im achten Stock des Justus-Lipsius-Gebäudes treffen, da ist der Brüsseler Marathon zur Rettung des Euro schon seit knapp 30 Stunden im Gange. Europas Finanzminister haben sich in verschiedenen Formationen getroffen, haben die Rekapitalisierung der Banken besprochen und über die Höhe des Schuldenschnitts beraten, mit dem die unter der Last ihrer Verbindlichkeiten zusammenbrechenden Griechen vor dem Untergang bewahrt werden sollen. Auch Guido Westerwelle hat seinen Auftritt im Ratsgebäude gehabt. Doch erst jetzt wird es ernst.

An der spätsamstägliche Runde nehmen neben Merkel und Sarkozy all jene teil, auf die es in diesen dramatischen Tagen sonst noch ankommt. Da sind Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker und der scheidende Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean- Claude Trichet. Aber Merkel ist nicht die einzige Frau bei dem Treffen, zu dem die Brüsseler Gastgeber Herman Van Rompuy als EU-Ratschef und der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso eingeladen haben. Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), ist ebenfalls da.

Knapp zweieinhalb Stunden tagt die Runde. Um 23.23 Uhr geht sie auseinander. „Pas d’info encore“, simst ein Sprecher der Franzosen unmittelbar im Anschluss in die Nacht – über Ergebnisse aus dem Siebener-Kreis, der sich seit dem denkwürdigen Auftritt von Sarkozy in der Oper der Mainmetropole am vergangenen Mittwoch „Frankfurter Runde“ nennt, soll nichts nach Außen dringen.

Frankreichs Staatschef war in der vergangenen Woche überstürzt nach Frankfurt geeilt, verpasste dabei sogar die Geburt seiner Tochter Giulia und platzte in die Verabschiedung des EZB-Chefs Trichet. All das nur, um der französischen Position in der umstrittenen Hebel-Frage Nachdruck zu verleihen. Da verfolgte Paris noch den Plan, den Euro-Rettungsfonds EFSF mit einer Art Super-Hebel auszustatten. Der hätte es dem EFSF durch eine Banklizenz ermöglicht, sich ständig frisches Geld von der EZB zu besorgen. Das Dumme an der Idee war nur, dass Berlin von Anfang an nicht mitspielte. In Brüssel sollten die Franzosen dann ihre Position nach und nach räumen. Doch dazu später.

Und zurück in die Brüsseler Nacht, in die Merkel, Sarkozy und die fünf anderen nach ihrem Treffen enteilen. Zu diesem Zeitpunkt wissen sie noch nicht, welche der vielen Konfliktthemen sie beim Gipfel am folgenden Tag wirklich entschärfen können, ob die exakte Höhe des Schuldenschnitts oder die Frage, wie ein Finanzhebel ausgestaltet werden könnte, der die begrenzten europäischen Geldmittel ins Unermessliche aufbläht. Zwar ist der Entscheidungsdruck etwas geringer geworden, seit Merkel mit Blick auf die Mitspracherechte des Haushaltsausschusses im Bundestag und den andauernden Streit mit Frankreich in der Hebel-Frage am vergangenen Donnerstag kurzerhand entschieden hatte, den Gipfel einfach aufzuteilen und am kommenden Mittwoch noch ein Treffen in Brüssel dranzuhängen. Bei dem sollen dann endgültig Beschlüsse fallen. Doch die Zeit scheint allen trotz dieses Schachzugs davonzulaufen.

Erst am Vortag war die schockierende Nachricht nach Brüssel durchgedrungen, dass sich bei der Griechenland-Hilfe nach jetzigem Stand noch eine zusätzliche Finanzierungslücke von über 140 Milliarden Euro auftut. Zum anderen bereitet auch Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der EU, den Europäern zunehmend Sorgen.

Die Sorge um den Reformwillen der Berlusconi-Regierung veranlasste Merkel am Samstag, noch einmal sehr deutlich zu werden. Von Berlusconi wird bis 2013 ein ausgeglichener Haushalt erwartet. Und Merkel mahnte das am Rande eines Vor-Gipfels der konservativen Staats- und Regierungschefs vor den Toren Brüssels an. Als Berlusconi anschließend gefragt wird, ob er glaube, dass er die Kanzlerin von der Ernsthaftigkeit seiner Sparbemühungen habe überzeugen können, zeigt sich der schmallippig. „Ich denke ja“, sagt er nur.

Berlusconi ist einer der ersten am Sonntagmorgen. Es ist 8.25 Uhr, als er mit einem breiten Grinsen an der Phalanx der Fotografen und Kameraleute vor dem EU-Ratsgebäude vorbeischreitet. Eine knappe Stunde später kommt Merkel an. Als sie aus dem Auto steigt, senkt sie den Kopf leicht nach unten, wünscht dabei einen guten Morgen und tritt auf die wartenden Reporter zu. Es folgt ein kurzes, konzentriertes Statement. Sie hat gelernt, dass „die Märkte“ schnell auf ein Kanzlerinnenwort reagieren können. Zum Glück ist Sonntag, und die Börsen in Fernost öffnen erst in mehr als 15 Stunden. Also steht da die Kanzlerin in ihrem hellblauen Jacket und sagt Sätze wie „Ich glaube, dass alle wissen, dass wir die Dinge sehr gut behandeln müssen“. Oder: „Wir bereiten heute die Entscheidungen für Mittwoch vor.“ Die Kanzlerin ist deutlich bemüht, die Erwartungen an den Sonntags-Gipfel herunterzudimmen.

Kurz nach Merkel trifft dann auch Giorgos Papandreou ein, begleitet von „Kalimera“-Rufen der Fotografen, die dem griechischen Premier einen guten Morgen wünschen. Weniger, um den leidgeprüften Hellenen aufzumuntern, sondern um ein möglichst gutes Bild von dem Mann zu erhalten, dessen Land das Epizentrum der Krise bildet. Im Schlepptau hat er eine große Delegation, angeführt von der massiven Gestalt seines Finanzministers Evangelos Venizelos. Die gebeugte Haltung, die Venizelos einnimmt, kann man durchaus als Sinnbild für die Lage in Hellas nehmen und die Ohnmachtsgefühle, die einen griechischen Politiker nach Brüssel begleiten. Der Gipfel kann beginnen.

Bei einigen liegen da die Nerven schon blank. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte macht wegen des immer höher wachsenden griechischen Schuldenberges aus seinem Herzen keine Mördergrube. „Es war inakzeptabel, wie die Dinge in Griechenland außer Kontrolle geraten sind“, sagt er. „Wir sind alle unglaublich verärgert von der Tatsache, dass wir Geld in diese Sache stecken müssen“, platzt es aus dem Niederländer heraus. Und er schiebt hinterher: „Wir müssen sicherstellen, dass wir die idiotische Situation in Ordnung bringen.“

Man hört aus Ruttes Worten auch die wachsende Unlust heraus, sich immer wieder selbst in Brüssel zu einem Krisentreffen einfinden zu müssen.

Ein paar Meter von der europäischen Trutzburg entfernt stehen an diesem Mittag jene, die den Glauben an die Lernfähigkeit der Politik aufgegeben haben. „People not for sale“, ist auf einem Transparent zu lesen, das Demonstranten aufgespannt haben. Einige skandieren etwas von „Revolution“, andere etwas vom „Antikapitalismus“. Sie haben ein Schild mit der Aufschrift „1 Prozent“ aufgebaut. Es soll den Weg zu den Ausbeutern weisen und zeigt auf den Lipsius-Bau.

Die Sonne über Brüssel beginnt sich bereits wieder zu senken, als sich drinnen im Klotz des EU-Rats immerhin eine Annäherung im Streit zwischen Deutschland und Frankreich um den Hebel abzeichnet. Und das, obwohl hinter dem Dissens grundsätzliche Unterschiede im deutschen und französischen Politikverständnis stehen. Während man in Frankreich durchaus kein Problem damit hat, der Politik in allen Bereichen – also im Zweifel auch in der Haltung gegenüber der Europäischen Zentralbank – einen Vorrang einzuräumen und wirtschaftliche Strukturen politisch zu nutzen, gelten in Deutschland politikferne Institutionen wie die EZB als Garanten der Stabilität. Von daher wirkte die französische Idee, die Hebelwirkung des Euro-Rettungsschirms ausgerechnet mithilfe der Frankfurter Euro-Hüter zu vergrößern, auf deutsche Gemüter wie ein Affront.

Am Sonntagnachmittag sagte Merkel dann, dass keines der zur Diskussion stehenden Hebel-Modelle eine Einbeziehung der EZB vorsehe. Damit ist zwar immer noch nicht klar, wie ein Rettungsmechanismus funktionieren könnte, aber wenigstens politisch ist der Weg geebnet. Bis zu diesem Montagabend sollen die technischen Details der beiden Varianten – eine Art Teilkaskoversicherung zur Absicherung der Käufer von Staatsanleihen die eine, die andere die Einrichtung eines Spezialfonds als Investoren-Anreiz – vorliegen. Anschließend können sich die Bundestagsabgeordneten darüber beugen, bevor der nächste EU-Gipfel tagt. Wieder rast die Zeit.

Zur Versöhnung schenkte Merkel Sarkozy übrigens einen Teddy für das Töchterchen Giulia. Wenn doch alles in Europa so einfach wäre.

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