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Politik: „Ein Mindestlohn wird sehr viele Jobs kosten“

DIHK-Präsident Eric Schweitzer über die Koalitionsgespräche, soziale Wohltaten und das Rückkehrrecht nach der Teilzeit.

Herr Schweitzer, vor Beginn der Koalitionsgespräche von Union und Sozialdemokraten haben Sie vor der „german Mittelmäßigkeit“ gewarnt. Treten Ihre Befürchtungen ein?

Ich habe den Eindruck, dass in Deutschland zu viel über das Verteilen gesprochen wird und zu wenig darüber, wie wir das Geld erwirtschaften können. Deutschland ist aber keine Insel der Seligen. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass es gottgegeben ist, dass es uns gut geht. Tatsache ist, dass die Wirtschaft in diesem Jahr kaum wächst. Wir stehen in einem scharfen Wettbewerb mit Amerikanern und Chinesen, wo Energie- beziehungsweise Arbeitskosten viel geringer sind als bei uns. Das heißt, wir müssen uns Gedanken machen, wie wir den Wohlstand sichern können, damit wir nicht irgendwann wieder zum kranken Mann Europas werden. Wenn ich mir die Themen ansehe, die zur Zeit in den Verhandlungen zur Koalitionsbildung besprochen werden, habe ich den Eindruck, dass es eine Schlagseite hin zu sozialen Wohltaten gibt und zu wenig über Marktwirtschaft gesprochen wird.

Reden Sie die Lage nicht ein bisschen schlecht? Schließlich gibt es Rekordsteuereinnahmen, und noch nie waren so viele Menschen beschäftigt.

Nein, ich erinnere mich daran, dass wir harte Zeiten hatten, um dorthin zu kommen, wo wir sind. Und nun muss darüber gesprochen werden, wie wir diese Erfolge mittelfristig sichern, statt darüber, wie wir den Kuchen kurzfristig verteilen. Deutschland ist kein ungerechtes Land, das sagen die meisten Experten.

Wo Menschen in befristeten und schlecht bezahlten Jobs arbeiten, da fühlen sie Ungerechtigkeit, wenn anderswo Millionengehälter gezahlt werden...

Gegenfrage: Wird das Land gerechter, wenn Werkverträge und Zeitarbeit eingeschränkt und ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro gezahlt wird? Ich denke: Nein. Ich verstehe den Hintergrund jeder einzelnen Maßnahme. Aber in Summe führen sie den Arbeitsmarkt wieder dorthin zurück, wo er vor der Agenda 2010 von Gerhard Schröder war. Und wir erinnern uns, wie hoch damals die Arbeitslosigkeit war.

Mindestlöhne sorgen dafür, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können.

Das ist allenfalls gut gedacht, aber ist nicht gut gemacht. In Ostdeutschland verdienen deutlich über eine Million Menschen unter 8,50 Euro in der Stunde. Und zwar nicht, weil ihre Arbeitgeber Extraprofite einstreichen, sondern weil die Märkte nicht mehr hergeben. Ein Mindestlohn, der in Ostdeutschland bei 8,50 Euro liegt, wird sehr viele Jobs kosten. Und nicht nur dort. Schlecht Ausgebildete und Jugendliche ohne gute Qualifikation werden keine Jobs mehr finden, weil sich Unternehmen nicht leisten können, sie einzustellen. Am Ende wird dieser flächendeckende Mindestlohn vor allem die treffen, die am schwächsten sind. Ich sage: Das ist ungerecht. Und es belastet die Unternehmen. Übrigens gehört dazu auch das von der großen Koalition angestrebte Rückkehrrecht auf einen Vollzeitjob, wenn man Teilzeit gearbeitet hat.

Ein Problem, das viele junge Familien trifft.

Und das nicht einfach mit einem Gesetz zu regeln ist, das die unternehmerische Realität ausblendet. Die meisten Arbeitnehmer sind in mittelständischen Betrieben beschäftigt, nicht bei Dax-Konzernen. Jemand, der in einem kleinen Betrieb auf Teilzeit geht, der muss ersetzt werden, damit die Arbeit nicht liegen bleibt. Bei einem Rückkehrrecht in Vollzeit muss das Unternehmen im Zweifelsfall die Ersatzkraft wieder entlassen. Kleinere Betriebe können so etwas nicht einfach ausgleichen. Ein solches Gesetz geht an der Lebenswirklichkeit im Mittelstand vorbei. Zumal es jetzt schon Gesetz ist, dass man nach der Elternzeit in seinen Vollzeitjob zurückkehren kann und in Teilzeit bevorzugt behandelt werden muss, wenn eine Vollzeitstelle besetzt werden soll. Ich sehe nicht in jeder Maßnahme isoliert die große Gefahr. Aber das ganze Bündel dessen, was im Bereich Arbeitsmarkt derzeit von Union und SPD diskutiert wird, schadet den deutschen Unternehmen und damit auch dem Arbeitsmarkt. Wenn jetzt noch die Pläne zur abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren, die Mütter- und die Solidarrente dazukommen und die Sozialbeiträge deshalb erst nicht gesenkt und später erhöht werden, dann ist das ein Giftcocktail, der zu mehr Arbeitslosigkeit führt.

Nach der Steuerschätzung in dieser Woche ist klar, dass die Spielräume der Staatshaushalte für Ausgaben begrenzt sind. Wie sollen Investitionen in Infrastruktur und Bildung finanziert werden?

Ich sehe keine Einnahmeprobleme. Der Staat wird 2018 im Vergleich zu 2012 rund 130 Milliarden Euro mehr zur Verfügung haben. Allein der Bund hat 2018 gut 50 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als im laufenden Jahr. Da unterstütze ich jeden, der in den Koalitionsverhandlungen darauf drängt, dass das Geld für sinnvolle Ausgaben in Bildung und Infrastruktur reicht. Und ich erinnere an das zentrale Wahlversprechen der Union, die Steuern nicht zu erhöhen. Ich setze darauf, dass CDU und CSU diese Zusage einhalten werden.

Das Gespräch führten Lutz Haverkamp und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Mike Wolff.

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