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Anders Breivik vor Gericht. Er sei ein Nationalsozialist, sagte er, aber töten wolle er nicht mehr.

© dpa

Anders Breivik klagt gegen Haftbedingungen: Ein Nazi, ein Massenmörder, ein Mensch

Anders Breiviks Klage wegen seiner Haftbedingungen empört viele. Aber er hat sein Recht auf angemessene Behandlung nicht verwirkt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

31 Quadratmeter, die Zimmer in einem Studentenwohnheim bringen es oft nicht mal auf die Hälfte. Anders Behring Breivik hat gleich drei, dazu Fernseher, eine Spielkonsole und einen Computer, freilich ohne Internetzugang. Er kann sich Essen kochen und seine Wäsche waschen, Sport treiben, Briefe schreiben. Dennoch will er, nachdem der norwegische Staat ihn wegen Mordes an 77 Menschen verurteilt hat, nun den norwegischen Staat verurteilt sehen.

Eine Breivik-Woche. Die Gerichtsverhandlung wurde, in Deutschland noch immer undenkbar, im TV übertragen. Der Kahlrasierte reckt den rechten Arm wie sein Großidol Adolf Hitler, spricht davon, er, der Nationalsozialist, habe seinem bewaffneten Kampf jetzt abgeschworen. Dergleichen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Breivik geblieben ist, wozu er sich ausgebildet hat. Ein gemeingefährlicher Terrorist. Seine Tat, der Anschlag auf das Ferienlager einer politischen Jugendorganisation, wirkt irre, aber sie war es nicht. Sie entspricht seinem Kalkül, wonach Norwegens Sozialdemokratie verantwortlich dafür ist, dass muslimische Massen sein geliebtes Abendland fluten. Es ist wohl so, dass sich dieser entsetzliche Mensch auf furchtbare Weise bestätigt fühlen wird, wenn er hört, welche Reden über Einwanderer in Europa wieder fernsehtauglich werden.

Was folgt daraus für die Beurteilung seiner Haftbedingungen? Nichts. Ihm stehen die Menschenrechte zur Seite, wie allen. Sein Fernziel dürfte ohnehin der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein. Der EGMR befasst sich häufiger mit Haft, voran mit der oft katastrophalen Situation in Russland. Auch mit Isolationshaft, meist in prominenten Fällen wie dem des Kurdenführers Öcalan oder des venezolanischen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, bekannt als „Carlos“, der seit über 20 Jahren in Frankreich einsitzt. Bei Carlos ließ das Gericht die strikten Kontaktsperren noch durchgehen, betonte aber, selbst eine eingeschränkte Isolation dürfe Gefangenen nicht auf unbegrenzte Zeit zugemutet werden. Häftlinge, die fast nur ihre Wärter sehen, müssten medizinisch-psychiatrisch streng überwacht werden.

Wir draußen haben gut reden. Haft ist eine enorme seelische Belastung. Der fehlende Kontakt zur Außenwelt spielt dabei mindestens die Rolle der Zellengröße. Mitgefühl braucht niemand aufzubringen, doch so viel ist sicher: Breivik leidet. Weil Europa mehr ist als eine Wirtschaftsgemeinschaft mit Außengrenze, darf Breivik, wie jeder andere Gefangene, nur so viel leiden, wie es unbedingt nötig ist. Zeige mir deine Haftplätze, und ich sage dir, was für ein Staat du bist: Gefängnisse sind der gültige Indikator für den zivilisatorischen Stand einer Gesellschaft. Breivik pocht auf sein Menschenrecht. Dieses und etwas zu essen, mehr müssen wir ihm nicht geben.

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