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Politik: Ein Nein zu hohem Preis

Nach dem Scheitern der US-Truppenstationierung: An einem neuen Votum könnte Ankaras Regierung zerbrechen

Im südtürkischen Hafen Iskenderun kletterten die seit Tagen wartenden US-Soldaten am Sonntagmorgen in ihre Lastwagen, warfen die Motoren an und nahmen Kurs auf die nordirakische Grenze. Weit kamen sie nicht. Aus der Stationierungserlaubnis sei nichts geworden, eröffneten die türkischen Wachen an der Hafenausfahrt den verblüfften Amerikanern, die ihre Laster wieder auf den Kai zurück rangieren mussten. Das unerwartete Scheitern der US-Truppenstationierung im türkischen Parlament am Samstagabend bringt die Kriegspläne der USA kräftig durcheinander. Auf einer Krisensitzung beriet die türkische Regierung am Sonntag, ob sie die Stationierung in einem zweiten Anlauf durchpauken kann – oder ob sie sich damit ihr eigenes Grab schaufeln würde.

„Wie ist denn das passiert?“, entfuhr es dem Chef der türkischen Regierungspartei AKP, Recep Tayyip Erdogan, als das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben wurde. Mehrere Minister und fast ein Drittel der Regierungsfraktion hatten mit der Opposition gegen den Regierungsantrag gestimmt, den USA die Stationierung von über 60 000 Soldaten für den Angriff auf Irak zu erlauben; der Antrag fiel ebenso knapp wie unerwartet durch. Ob Partei und Regierung angesichts dieses Risses einen zweiten Abstimmungsversuch überleben können, war nach dem Debakel die zentrale Frage für die Parteiführung. Die Alternative zu einem neuen Anlauf stellte sich kaum erfreulicher dar, denn eine endgültige Absage an die USA könnte das Land teuer zu stehen kommen.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma fand die verdatterte türkische Führung am Sonntag noch nicht. Parteichef Erdogan signalisierte zwar eine persönliche Präferenz dafür, den gefällten Parlamentsbeschluss zu akzeptieren und die Sache auf sich beruhen zu lassen: „Wir sind eine Partei, die den Willen des Volkes respektiert“, sagte er. Abschließend sei über eine mögliche Wiedervorlage des Antrages aber noch nicht entschieden, betonte er.

Für die USA bedeutet dies, dass ihre Armee-Lastwagen in Iskenderun geparkt bleiben und ihre vor den türkischen Küsten wartenden Schiffe weiter nicht anlegen dürfen – und dass völlig offen ist, ob überhaupt noch etwas aus der Nordfront mit der Türkei wird. Dem Weißen Haus verschlug es auf die Hiobsbotschaft aus Ankara hin erst einmal die Sprache. Das Pentagon hatte aber schon im Vorfeld angekündigt, dass es seine Pläne für die Nordfront revidieren werde, wenn Ankara nicht schleunigst grünes Licht gebe.

Danach sah es einen Tag nach der Revolte im türkischen Parlament nicht aus – und wenn die Entscheidung in Ankara noch weiter verzögert wird, dann könnten die USA bald von sich aus auf die türkische Unterstützung verzichten. Zwar will das Pentagon längst alternative Pläne für eine Nordfront ohne die Türken in der Schublade haben, doch hätten diese Pläne nicht nur militärische Nachteile. Weil die türkische Armee bei Kriegsausbruch auf jeden Fall in Nordirak einmarschieren wird, um die dortigen Kurden unter Kontrolle zu halten, könnten sich die beiden Nato-Partner dann im Felde begegnen. Genau wegen dieser politischen und militärischen Gefahren hatte die türkische Regierung sich für die Kooperation mit den USA eingesetzt.

Zumindest den Folgen des Krieges im Nachbarland könne die Türkei ohnehin nicht entrinnen, argumentierte sie; die Zusammenarbeit mit den USA würde dem Land zumindest ein Mitspracherecht verschaffen und Risiken – etwa der Gründung eines Kurdenstaats – begrenzen. Andernfalls drohe außerdem die Aussicht, die Milliardenverluste aus dem Zusammenbruch von Handel und Tourismus ohne US-Hilfen verkraften zu müssen. Wie zehntausende Demonstranten vor dem Parlament meinte aber schließlich auch die Volksvertretung: Nein zum Krieg - trotz aller Konsequenzen.

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