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Politik: Ein Sieg, der Leiden schafft

DES KANZLERS MEHRHEIT

Von Tissy Bruns

Die Entschlossenheit, mit der Gerhard Schröder an seinem Kurs festhält, ist beachtlich. Sein Reformzug fährt, stockend zwar und manchmal in argen Kurven, aber immerhin: Er fährt in die richtige Richtung. Doch sind es müde Helden, die gestern die große Hürde im Bundestag genommen haben. Noch während der Schlacht um Hartz und Steuern sind die nächsten Runden eröffnet worden. Rentenlöcher, Haushaltsdebakel. Alles noch schwieriger, noch schlimmer als vorher gedacht.

Deshalb gehört zum Respekt für Schröders Sieg der Befund: Erfolge wie der von gestern sind keine Medizin gegen die schlechte Stimmung im Land. Sie setzen keine Kräfte frei, nicht bei den Bürgern, die ihre Taschen weiter ängstlich verschlossen halten, nicht bei der Wirtschaft. Nicht in der rotgrünen Koalition – und das merkt man zuallererst dem Bundeskanzler an. Schröder weiß, dass die gestrige Abstimmung nur ein Etappensieg ist, dass sie keine fertigen, sondern wieder nur angekündigte Reformen gebracht hat. Die müssen noch durch die Mühlen des Bundesrats; wenn sie zurückkommen, können sich die Kraftakte um die „eigene“ rot-grüne Mehrheit wiederholen. Je nachdem, was und wer sich in der Union durchsetzt. Es liegt nicht in Schröders Hand, wie stark Edmund Stoibers Kanzler-Ehrgeiz den Bundesrat bestimmen wird.

Es liegt nämlich überhaupt nur noch wenig in Schröders Hand. Mit der Agenda 2010 hat er in sechs Monaten tiefe Schneisen in die politische Landschaft geschlagen. Die Gewerkschaften mussten lernen, dass sich die Straße nicht mobilisieren lässt. Die SPD, dass sie Regierungspartei nur auf Schröders Art bleiben kann. Die Grünen, dass es nur begrenzt ratsam ist, auf Kosten der schwerfälligen SPD auf Profilsuche zu gehen. Aber wenn weder SPD noch Gewerkschaften den kleinen Leuten mit ihrer Angst vor den Reformen ein Zuhause bieten, verlegen sich klassische SPD-Wähler eben darauf, CSU zu wählen, damit es nicht zu schlimm kommt. Wenn Fischer und Schröder ankündigen, 2006 wieder anzutreten, um die eigenen Parteien zu disziplinieren, schwinden für Rot und Grün die politischen Optionen. Sie sind auf Gedeih und Verderb zusammengeschweißt, während die hasenfüßige FDP ihr Heil nur noch an der Seite der Union finden kann. Wenn ein Kanzler kurz darauf sechs bis acht renitenten Abgeordneten mit Rücktritt drohen muss, dann begibt er sich auch in deren Hand. Der Koalitionspartner hat bei den letzten Konflikten jedenfalls weniger herausschlagen können, als die „sechs“, deren Stärke allein auf Schröders Schwäche beruht.

Der Bundeskanzler hat mit jedem Teilsieg sein Repertoire an Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Und schmaler, enger, strenger wird mit jeder Woche sein öffentliches Bild. Der im Umgang mit Journalisten augenzwinkernde, im medial vermittelten Fernsehgespräch mit den Bürgern aufgeräumte Gerhard Schröder ist fast verschwunden. Sein Blick richtet sich staatsmännisch auf die Opposition, streng auf seine Partei, seine Fraktion, nicht mehr auf die Öffentlichkeit, auf die Bürger. Wenn er vor den Delegierten der IG Metall spricht, vermisst man beinah die Leidenschaft des „Basta“, mit dem er vor drei Jahren herumgepoltert hat. Und wenn der SPD-Parteivorsitzende seine „Abweichler“ ins Visier nimmt, dann wirkt er fast wie ihr Alter Ego, das andere Ich der SPD-Linken. In sein Gesicht hat sich ein „Alles oder Nichts“ eingeschlichen. Man glaubt es: Der würde die Macht hinschmeißen, wenn seine Leute nicht mitspielen. Für die Bürger dementiert Schröder damit seinen eigenen Kurs – glaubt er doch für sich selbst nicht an die bessere Zukunft, in die seine Reformen führen sollen.

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