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Politik: Ein Tabu wird gebrochen

Ist das Folterverbot ein Hindernis im Kampf gegen den Terror oder schützt es vor staatlichen Exzessen?

Berlin - Über den Wolken mag die Freiheit wohl grenzenlos sein, am Boden ist sie es nicht. Selbst die Freiheit der mächtigsten Regierung der Welt endet hier. Wenn tatsächlich CIA-Flugzeuge mit Terrorverdächtigen in Deutschland gelandet sind, um sie von dort in Länder zu bringen, wo sie gefoltert wurden, haben sich die US-Beamten und ihre Helfer mindestens Delikten wie Freiheitsberaubung und Nötigung schuldig gemacht. Deshalb ermitteln deutsche Staatsanwaltschaften – bisher gegen Unbekannt.

Die Frage, was im Kampf gegen den Terror erlaubt sein soll, spaltet nicht nur Europäer und Amerikaner. Sie stellt sich immer wieder neu. Die tiefsten Gräben tun sich auf, wenn es um eine der heiligsten Vorschriften der internationalen Rechtsordnung geht: das Folterverbot. Auch bei den CIA-Flügen wäre es letztlich der Verstoß gegen die internationale Ächtung der Folter, die den Vorfall zu einem internationalen Politikum macht. Denn Folter ist tabu. Aber wie es mit Tabus so ist: Sie werden gebrochen, und diejenigen, die sie brechen, haben manchmal Argumente. Es wäre falsch, sie nicht zu hören. Auch bei der Folter.

Historisch liegt der Fall einfach. Die Folter gilt in westlichen Demokratien als abgeschafft. In Deutschland war dies eine Lehre aus der Hexenverfolgung. Als sie in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts einen neuen Höhepunkt erreichte, veröffentlichte der Paderborner Moraltheologe Friedrich Spee von Langenfeld seine Schrift „Cautio Criminalis“. Er führte die Folter zur Geständniserpressung ad absurdum: Weil potenziell jeder unter Folter alles gestehen würde, könnte somit jeder ein Hexer sein. Aussagen unter Folter sind also wertlos. Bis sich diese schlichte Wahrheit durchsetzte, vergingen noch über 100 Jahre. Erst Friedrich II. schaffte die Folter in Preußen ab, Bayern folgte Anfang des 19. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand das Verbot dann Eingang ebenso in völkerrechtliche Verträge wie in das Grundgesetz.

Nur hatten es weder Preußen noch Bayern mit globalem Terror und der Gefahr durch Massenvernichtungsmittel zu tun. Diese neue Situation wirft die Frage auf: Was darf man mit einem Menschen anstellen, um andere zu retten? Eine Facette dieses Problems hat derzeit das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, das über die im Luftsicherheitsgesetz verankerte Erlaubnis zum Abschuss entführter Passagiermaschinen urteilen muss.

Folter als Mittel der Prävention, als Ultima Ratio, um Schlimmeres und Schlimmstes zu verhindern – darüber wurde auch in Deutschland ernsthaft diskutiert, nachdem der damalige Frankfurter Vizepolizeipräsident Wolfgang Daschner einem Kindesentführer Gewalt androhen ließ, um den Aufenthaltsort des Opfers zu erfahren. Von den praktischen Erkenntnissen eines Friedrich Spee von Langenfeld war die Debatte weit entfernt. Sie schwang sich sogleich in dieSphäre der Theorie auf. Moralisch-philosophische Verteidiger des Folterverbots prallten auf die nüchterne Sicht der Gesellschaftswissenschaft. Der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann hatte schon Jahre zuvor das „Ticking-Bomb-Szenario“ entworfen, um zu beweisen, dass auch das Recht kein Tabu mehr kennt, wenn der politische Druck nur groß genug ist. Einen Terroristen, der eine Atombombe legt, so sein Schluss, wird man foltern dürfen, wenn anders die nahende Explosion nicht zu verhindern sei. Die Folgerungen aus dem Szenario – so konstruiert es sein mag – sind schlecht zu widerlegen. Natürlich, so der Einwand, stellt man sich dann auf eine Stufe mit dem Verbrecher. Lebte er noch, würde Luhmann wohl entgegnen: Es geht hier nicht um Moral, sondern ums Überleben.

Diesen Grundkonflikt kann das Recht nicht lösen. Schon gar nicht das deutsche Verfassungsrecht, das mit der proklamierten Unantastbarkeit der Menschenwürde jede Abwägung und Verhandelbarkeit derselben von vornherein ausschließt. Würde Folter gleichwohl „verrechtlicht“ – wie Luhmann es übrigens ironisch vorgeschlagen hatte – wäre dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Also wird das Tabu gehütet und verteidigt, vor allem seit es sich in der deutschen Diskussion im Fall Daschner als brüchig erwiesen hat. Die Verteidigung lohnt. Denn das Folterverbot liefert uns nicht wehrlos den Gefahren des Terrors aus, sondern hilft, den Exzessen staatlicher Gewalt vorzubeugen.

Sollte das „Ticking-Bomb-Szenario“ tatsächlich einmal Wirklichkeit werden, wird ein Beamter so handeln, wie Luhmann es vorhergesehen hat. Aber er wird anschließend nicht belohnt, sondern bestraft. Und die Sanktionsdrohung wiederum verhindert, dass er allzu leichtfertig Missbrauch treiben würde. Die Verurteilung Daschners wegen Nötigung hat diese stabilisierende Wechselwirkung aus Ethik, Strafrecht und sozialen Handlungsgeboten vorläufig bestätigt. Die Folterdebatte hat sich damit beruhigt – aber sie hat sich nicht erledigt.

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