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Politik: Ein Tribunal für Grosny?

Der Europarat will Kriegsverbrechen in Tschetschenien ahnden – Moskau droht mit Ende der Zusammenarbeit

Die Kritik aus Straßburg hat Moskau sichtlich verärgert: Europa wolle nur vom Irak-Krieg ablenken, sagte der außenpolitische Sprecher der russischen Duma, Dmitrij Rogosin. Der Sprecher von Staatspräsident Wladimir Putin nannte sie „politisch schädlich“. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hatte am Mittwoch die Einrichtung eines Kriegsverbrecher-Tribunals für Tschetschenien gefordert, falls Moskau sich nicht zu Verbesserungen der Menschenrechtssituation in der Republik durchringen würde. Die Rebellen werden aufgefordert, „terroristische Aktivitäten“ einzustellen, Moskau wird nahe gelegt, seine Truppen zurückzuziehen. Am Donnerstag starben in Grosny indes wieder mindestens sechs Menschen bei einem Anschlag auf einen Bus.

Autor des Dokuments ist der SPD-Politiker Rudolf Bindig, der sowohl den russischen Truppen als auch den tschetschenischen Kämpfern Menschenrechtsverletzungen vorwarf und dem Moskau bereits mehrfach Sympathien für die Separatisten nachsagte. Der bisherige Tschetschenienbeauftragte des Gremiums, Lord Frank Judd, hatte Moskau mit seiner Kritik in der Vergangenheit schon mehrfach in Rage gebracht. Mit dem angekündigten Rücktritt des streitbaren Briten im Februar und mit dem Bündnis gegen den Irak-Krieg mit Deutschland und Frankreich, die zu den schärfsten Kritikern von Russlands Tschetschenienpolitik gehörten, glaubte Moskau das Problem endlich vom Tisch. Doch wie die Zeitung „Iswestija“ bemerkt, hatte die russische Delegation offenbar „das Rückgrat ihrer europäischen Kollegen unterschätzt“. Rogosin und sein Kollege Michail Margelow, der außenpolitische Sprecher des russischen Senats, sehen das allerdings anders: Die Resolution würde nicht die reale Stimmungslage in Europa wiedergeben und müsse überarbeitet werden. Russland werde entsprechende Vorschläge machen, sagte Margelow.

Das dürfte nach den höchst undiplomatischen Auslassungen Rogosins schwierig werden: „Es wird kein Tribunal zu Tschetschenien geben und auch keine Beobachter mehr in der Republik.“ Abgeordneten des Europarates würden künftig Reisen nach Tschetschenien verweigert, drohte der als notorischer Scharfmacher verschriene Politiker.

Die Tschetschenien-Resolution nennen russische Medien unisono einen „schweren Schlag“. Vor allem stellt diese auch den angeblichen Erfolg des Verfassungsreferendums am 23. März in Frage, das der Kreml als Beginn eines politischen Prozesses in der Republik zu verkaufen sucht. Zwar kann der Europarat die Resolution selbst nicht realisieren. Doch die eigentliche Gefahr besteht nach Einschätzung der „Iswestija“ darin, dass einflussreichere Organisationen die Idee aufgreifen – und womöglich damit auch Erfolg haben könnten. Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte laufen derzeit immer mehr Klagen aus Tschetschenien ein. Statt seine diplomatischen Bemühungen zu verstärken, um das leidige Problem endlich vom Tisch zu bekommen, sei Russland jedoch offenbar zum Rückzug aus Europa entschlossen. Als ersten Schritt dazu kündigte Rogosin bereits die Halbierung der russischen Mitgliedsbeiträge für den Europarat an.

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