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Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin. Sie war unter anderem Chefredakteurin von "impulse".

© Mike Wolff

Ein Zwischenruf: Deutschland wird eine Banana Republic

Niemand möchte ein Investitionsprojekt in seiner Nähe. Für die Vertreter dieser bedenklichen gesellschaftlichen Grundströmung gibt es einen Namen.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat sich in der vergangenen Woche im Energiewendeland Deutschland mächtig unbeliebt gemacht. Er möchte verhindern, dass neue Höchstspannungsstromtrassen in seinem Land gebaut werden – obwohl er dem Bau dieser Leitungen früher einmal zugestimmt hat. Deshalb wird Seehofer jetzt als gnadenloser Populist verachtet. Warum eigentlich?
Energiewende-Strom wird in Deutschland vor allem im Norden und Osten produziert. Dort gibt es ausreichend Flächen und genug Wind für tausende Windräder. Verbraucht wird der Strom im Süden. Dort leben die meisten Menschen, dort arbeiten die größten Fabriken. Heute noch sorgen Atom- und Gaskraftwerke für die bayerische und baden-württembergische Energieversorgung. Doch wenn 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz genommen wird, wird Bayern wahrscheinlich auf den Importstrom aus dem Norden angewiesen sein. Das Projekt Energiewende könnte scheitern, wenn die Leitungen dafür nicht bald gebaut werden.
Auf den ersten Blick ist Seehofers Blockade also unvernünftig und kurzsichtig. Auf den zweiten Blick aber offenbart sich hier eine Haltung, die er mit vielen Bürgern teilt: Zwar wollen alle so bald wie möglich klimafreundlich und ohne Atomkraft leben. Doch neue Windräder auf dem Acker nebenan, Sonnenparks auf dem Hügel vor der Stadt, Hochspannungsleitungen quer durchs Land – die will man nicht.

„Build absolutely nothing anywhere near anyone“ – im Englischen nennt man Leute mit dieser Einstellung kurz „Bananas“. Für Deutschland bedeutet das den landesweiten Stopp für Neuinvestitionen. Denn hier ist man leider mit jeder Investitionsplanung in der Nähe von Menschen, die sich gestört fühlen. Wenn man aber den Ausbau der Infrastruktur nicht mehr erträgt – selbst bei einem Vorhaben, das die meisten befürworten – kommt die Wirtschaft zum Erliegen. Zuerst werden neue Straßen nicht mehr gebaut, neue oder die Erweiterung bestehender Flughäfen nicht mehr geplant. Dann lassen auch die Unternehmensinvestitionen nach. Arbeitsplätze entstehen nicht mehr, Forschungs- und Entwicklungsabteilungen wandern ab, dann Firmenzentralen. Die jungen Menschen suchen ihre Zukunft woanders. Deutschland ist auf dem Weg zur Banana Republic. Seehofer mag ein Populist sein. Vor allem ist er der prominenteste Vertreter einer bedenklichen gesellschaftlichen Grundströmung.

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