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Politik: „Ein zynischer Umgang mit den Opfern“

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses über die Aufarbeitung der Diktatur im Irak

Der Irak kommt nicht zur Ruhe. Am Mittwoch erschossen USSoldaten zwei Demonstranten in Bagdad. Gleichzeitig wurde der Sekretär Saddam Husseins festgenommen. Die USA wollen schon bald einen Gerichtshof für Funktionäre der Baath-Partei einrichten. Er ist Teil der Vergangenheitsbewältigung – ein Thema, mit dem sich auch die Menschenrechtspolitikerin Christa Nickels beschäftigt.

Frau Nickels, im Irak sind seit dem Ende des Krieges viele Massengräber entdeckt worden. Sind sie nicht doch erleichtert über den Sturz von Saddam Hussein?

Ich halte das, was wir jetzt zu sehen bekommen, für einen zynischen Umgang mit Opfern der irakischen Diktatur. Die Wahrheit ist doch die: Viele der Opfer sind Schiiten, die Anfang der neunziger Jahre umgebracht wurden, nachdem der damalige US-Präsident George Bush sie zum Widerstand gegen das Regime aufgefordert hatte. Vier Tage nach seinem Aufruf erklärte Bush dann plötzlich, die USA mischten sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Irak ein – damit hat er die Schiiten ans Messer geliefert, was Tausende mit dem Leben bezahlten.

Tatsache bleibt aber doch, dass Saddam Hussein ein Tyrann war…

…der in den achtziger Jahren vom Westen massiv unterstützt wurde. Auch aus Deutschland erhielt Bagdad Stoffe, die zum Bau gefährlicher Waffen geeignet waren. Die ausländische Hilfe hat ihn überhaupt erst so stark gemacht. Auch deshalb ist es unlauter, jetzt , wo das Argument, Saddam hätte innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen zum Einsatz bringen können, nicht mehr haltbar ist, die Menschenrechtskarte zu ziehen, um einen fragwürdigen Krieg zu rechtfertigen. Und das Ganze wird dann auch noch mit Bildern verzweifelter Iraker unterlegt, die mit bloßen Händen nach ihren Angehörigen graben. Das schadet dem Ansehen internationaler Menschenrechtspolitik.

Was muss mit den Gräbern geschehen?

Die Opfer müssen mit professioneller Hilfe identifiziert, Spuren und mögliche Beweise gesichert werden. Nur so können später einmal die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Das wäre auch wichtig im Hinblick auf die Vergangenheitsbewältigung. Wenn in einem multiethnischen Staat wie dem Irak auf Dauer Frieden herrschen soll, braucht man eine Versöhnungskommission, und die muss sich auf genaue Daten stützen können – auch bei den Massengräbern. Bisher jedoch gehen die Alliierten sehr nachlässig mit den Gräbern um, eine fachmännische Sicherung findet nicht statt.

Wäre dies ein Einsatzfeld für Deutschland?

Deutschland hat hier eine klare Position. Ein geordneter Wiederaufbau kann aus unserer Sicht nur unter dem Dach der UN stattfinden. Es muss eine Arbeitsteilung geben, einen Konsens, wer was übernimmt. Die UN sind dafür der richtige Rahmen. Die USA, so mein Eindruck, haben zwar genaue Konzepte, wie der Erdölsektor entwickelt werden kann, für den Aufbau demokratischer Strukturen aber nicht. Von einem planvollen Wiederaufbau sind wir weit entfernt.

Würde es unter UN-Regie denn wirklich besser laufen? Auf dem Balkan hat die Weltorganisation nach Ansicht von Kritikern versagt.

Die UN haben in der Vergangenheit Fehler gemacht. Doch aus den Balkan-Erfahrungen wurden Schlüsse gezogen – die dann beispielsweise in Afghanistan eingeflossen sind. Die Friedenskonferenz auf dem Petersberg mit allen wichtigen afghanischen Gruppen, der Rückgriff auf traditionelle Strukturen wie der Loya Dschirga, auf der der Friedensplan gebilligt wurde, all das hat Modellcharakter. Bedauerlich ist aber, dass die Antiterror-Koalition nicht bereit ist, die Isaf-Schutztruppe auf das ganze Land auszudehnen, um Sicherheit zu gewährleisten.

Welche Folgen hat die neue Politik der USA?

Mit ihrer Präventiv-Doktrin legen die USA die Axt ans Völkerrecht. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass einer Supermacht hier ein Sonderstatus eingeräumt wird. Und dass Menschenrechte nur dann als Interventionsgrund dienen, wenn es gerade passt. Eine Gruppe von Politikern und Intellektuellen aus Ägypten sagte neulich zu mir, ihnen erscheine die Einforderung von Menschenrechten zunehmend als ein rassistisches Vorgehen von Weißen gegen Staaten des Südens. Das ist alarmierend.

Das Gespräch führte Ulrike Scheffer.

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