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Bundespräsident Joachim Gauck bei der Einbürgerungsfeier am Donnerstag im Schloss Bellevue

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Update

Einbürgerungsfeier im Schloss Bellevue: Gauck: Ein einfarbiges Deutschland wäre "skurril"

Angesichts der aktuellen Debatte um Maßnahmen gegen angeblichen Sozialleistungsmissbrauch hat Bundespräsident Joachim Gauck an die Geschichte deutscher Migranten erinnert.

Von Hans Monath

Bundespräsident Joachim Gauck hat ein starkes Bekenntnis zu einer offenen Gesellschaft abgelegt und zugleich um Verständnis für die mit Einwanderung verbundenen Schwierigkeiten und Konflikte geworben. Es erfülle ihn „mit Dank und Freude“, dass heute Menschen aus 190 verschiedenen Nationen in Deutschland zu Hause seien, sagte Gauck am Donnerstag bei einer Einbürgerungsfeier anlässlich des 65. Jahrestages des Grundgesetzes: „Wir verlieren uns nicht, wenn wir Vielfalt akzeptieren.“ In einer offenen Gesellschaft seien es auch die Kontroversen, die zu „neuen Normalitäten“ führten.

Zwar habe das Grundgesetz das Fundament für ein freiheitliches, pluralistisches und demokratisches Gemeinwesen geschaffen, sagte der Präsident. Doch habe Deutschland erst lernen müssen, sich für Einwanderer zu öffnen. „Einwanderung wurde zuerst ignoriert, dann abgelehnt, später ertragen und geduldet, schließlich als Chance erkannt und bejaht“, meinte er. Glücklicherweise sei die Haltung überwunden worden, wonach Deutschland kein Einwanderungsland sei. Die Bundesrepublik sei auf ihrer Entwicklung hin zu einem Einwanderungsland „auf einem guten Weg und hat eine große Wegstrecke bereits zurückgelegt“.

Aufrufe zur Abschottung bezeichnete das Staatsoberhaupt als abwegig. Es sei „skurril, wenn manche der Vorstellung anhängen, es könne so etwas geben wie ein homogenes, abgeschlossenes, gewissermaßen einfarbiges Deutschland“, mahnte Gauck. Es werde „zunehmend als Normalität empfunden, dass wir verschieden sind – verschiedener denn je“.

Ausdrücklich lobte der Präsident die erst in diesem Jahr von der großen Koalition beschlossene doppelte Staatsbürgerschaft. Sie sei „Ausdruck der Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von Menschen“, sagte er. Eine fortdauernde Bindung von Migranten an ihre Herkunftsländer bedeute keine Misstrauenserklärung an Deutschland. Sie bringe auch keine Gefahren mit sich, sondern sei völlig normal, wie geschichtliche Beispiele zeigten. Deutschland lerne gerade, „dass eine Gesellschaft attraktiver wird, wenn sie vielschichtige Identitäten akzeptiert und niemanden zu einem lebensfremden Purismzus zwingt“, meinte Gauck.

Präsident: Auch Deutsche waren früher Armutseinwanderer und Wirtschaftsflüchtlinge

Im Zusammenhang mit der Debatte über die Belastung der deutschen Sozialsysteme durch Einwanderer sagte Gauck, auch in der deutschen Geschichte habe es Auswanderung in großem Maßstab gegeben. Zu Hunderttausenden hätten Deutsche einst ihr Glück in der Fremde gesucht. „Viele von ihnen würde man heute ,Armutseinwanderer’ oder ,Wirtschaftsflüchtlinge’ nennen“, meinte der Präsident.

Zugleich zeigte das Staatsoberhaupt Verständnis dafür, dass die Einwanderung auch Fremdheitsgefühle und Ablehnung provoziere. Probleme wie Ghettobildung und Jugendkriminalität, patriarchalische Weltbilder und Homophobie, Sozialhilfekarrieren, Missachtung von Frauenrechten, Antisemitismus und Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft durch Religion dürften nicht verschwiegen werden. „Die offene Gesellschaft verlangt uns allen einiges ab“, meinte Gauck: „Die offene Gesellschaft ist anstrengend.“

Der Bundespräsident plädierte dafür, in Konflikten stets auszuloten, wo Toleranz geobten sei oder in Kapitulation vor Intoleranz bedeute. Es sei die große Stärke der Verfassung, dass sie für Veränderungen offen sei, sofern diese im demokratischen Prozess ausgehandelt würden. „Gerade eine Einwanderungsgesellschaft ist immer Aushandlungsgesellschaft“, sagte er.

Ehrengäste bei der Feier waren 22 eingebürgerte Zuwanderer. Ihre Familien kommen aus Polen, Ungarn und Rumänien, aus der Ukraine und der Türkei, aus Ghana, Kamerun und der Elfenbeinküste, aus Bolivien und Brasilien, aus Israel, Nepal und dem Iran. Nach seiner Rede händigte der Präsident ihnen die Einbürgerungsurkunden aus.

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