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Politik: Eine bittere Bilanz und eine fragwürdige Hoffnung (Kommentar)

Seit einem halben Jahrhundert ist die Welt Zeuge eines groß angelegten Kreuzzugs. Auf seinen Fahnen steht: Menschenrechte!

Seit einem halben Jahrhundert ist die Welt Zeuge eines groß angelegten Kreuzzugs. Auf seinen Fahnen steht: Menschenrechte! Gleichzeitig erfahren wir, dass 50 Jahre nach ihrer Erklärung die universellen Menschenrechte so schwach sind wie nie zuvor. China, Iran, Saudi-Arabien, Kongo, Kambodscha, Kolumbien, Algerien, Zaire, Birma, Osttimor, Irak und Jugoslawien. . . - überall dort werden schutzbedürftige persönliche Rechte wieder und wieder verletzt. Der Umstand aber, dass die organisierte Menschheit diese Verbrechen unter das Rubrum "Menschenrechtsverletzung" stellt - und sie nicht als simples Unrecht, als einzelne Verbrechen ansieht -, das dürfte diese Staaten, jetzt, gerade nach dem Kosovokrieg, beeindrucken, vielleicht sogar beeinflussen.

Denn sie müssen fürchten, dass die im Kosovo erstmals erfolgte Berufung der Nato auf ein höheres Recht als das Völkerrecht, auf die Menschenrechte eben, Schule machen könnte. So klingt als Zukunftsmusik in den Ohren vieler: Der Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen wird nicht mehr vom Einmischungsverbot in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates verhindert. Menschenrecht bricht Völkerrecht?

Die Vereinten Nationen mühen sich seit 50 Jahren um die Respektierung der Menschenrechte als quasi ewige Rechtsordnung, als höchstes Recht. Multi-Milliarden-Entwicklungsprogramme sind auf den Weg gebracht, ein Aufruf jagt den nächsten und doch, so resümiert die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, ist die Internationale Gemeinschaft "gescheitert". Im Zeitalter der großen Flüchtlingsbewegungen von Süd nach Nord und von Ost nach West, auch angesichts der Massenabschlachtungen in Afrika fällt es in der Tat schwer, diesem Fazit zu widersprechen. Denn Kern der Menschenrechte sind Garantien: Unversehrtheit an Leib und Leben, Meinungs-, Religions- und Gedankenfreiheit, das Recht, nicht gefoltert zu werden und das auf Wahrung der Würde des Einzelnen. Doch auch im Zeitalter von CNN und der Aufklärungssatelliten, trotz dieser elektronischen Eilboten gilt, daß Recht und Moral auf internationaler Ebene nicht zusammenpassen.

Der Anspruch der Menschenrechte, für jeden und überall zu gelten, wie auch das Pochen auf die Einklagbarkeit politischer Garantie, wie im Grundgesetz, kommt dem Versuch gleich, einen moralischen Inhalt juristisch fixieren und politisch umzusetzen zu wollen. Das ist - bisher - zum Scheitern verurteilt, weil gefangen im Nationalstaat und im Verbot äußerer Einmischung in dessen Angelegenheiten. Diese Gefangenschaft wäre mit friedlichen Mitteln nur durch die fragwürdige Utopie einer Weltregierung zu lösen, die einer universellen Geltung über alle kulturelle und staatlichen Gräben hinweg Verbindlichkeit schenken könnte.

Paradoxerweise ist es gerade der Respekt vor jenen religiösen, ethnischen und kulturellen Eigenarten, der die Diskussion um die Menschenrechte im Zeitalter des "Clash of Civilization" lähmt und falsche Schlachtreihen aufbaut. Die europäisch-rationale Idee eines autarken Individuums als Maß aller Dinge, ist, zugegeben, kein Konzept, das dem konfuzianischen oder islamischen Kulturkreis, einsichtig sein muss. Dennoch darf die zivilisatorische Errungenschaft eines Grundrechtekatalogs für alle Menschen, der gerade ausschließt, dass Menschenrechte kulturellen, sozialen und religiösen Bedingtheiten untergeordnet werden können, nicht aufgegeben werden. Eine Relativierung des Geltungsanspruchs etwa durch eurozentrische Skrupel angesichts islamistisch legitimierter Barbarei wäre fatal für das Menschenrecht auf Unversehrtheit und Menschenwürde. Denn es ist der Schutz vor jeglicher Obrigkeit, vor den staatlichen Martern aller Arten eben, der Kern der Menschenrechte ist. Und sie werden nur dann mit Füßen getreten, wenn sich Staaten der Annahme hingeben, niemand werde es wagen, sie einzuklagen.

Die Kluft zwischen universellem Geltungsanspruch und lokalen Bedingungen des Schutzes ist nicht größer als vor einem halben Jahrhundert. Aber sie ist sichtbarer, erfahrbarer geworden. Die Erwartungen und Ansprüche an die Kreuzzügler sind gewaltig und so sind - auf der anderen Seite - die gegenläufigen wirtschaftlichen Zwänge, der globale Wettbewerb, die diplomatischen Rücksichten und die geopolitischen Interessen. Seit dem Kosovo-Einsatz, seit der Beleg in der Welt ist, daß aus innerer Souveränität äußere Einmischung möglich wird, sind die Hoffnungen auf die Einklagbarkeit der Menschenrechte gewaltig gestiegen. Bleibt noch abzuwarten, ob diese Hoffnung mehr als eine Illusion, mehr als eine Nebenwirkung ist.

Rüdiger Scheidges

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