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Politik: Eine Ehrung als Schmähung

NOBELPREIS FÜR CARTER

Von Malte Lehming

Sie stecken alljährlich in einem Dilemma, jene fünf Mitglieder des norwegischen Komitees, das den Friedensnobelpreis verleiht. Einerseits müssen sie einen Ruf verteidigen. Ihre Auszeichnung gilt als wichtigste internationale Ehrung im Bemühen um eine bessere Welt. Andererseits müssen sie sich an die Satzung halten. Deren Kriterien sind streng. Die Preisträger müssen die Brüderlichkeit zwischen den Staaten fördern, sich für Friedenskonferenzen einsetzen und die „Abschaffung oder Abrüstung von stehenden Heeren“ fordern. Unverkennbar spiegelt sich in den Statuten der Einfluss der Pazifistin Bertha von Suttner auf das Testament des schwedischen Dynamit-Erfinders Alfred Nobel wider. Bertha von Suttner war auch die erste Frau, die den Preis bekam. Weil in der Satzung die Gewaltfreiheit propagiert wird, sind einige Menschen und Organisationen von der Vergabe ausgeschlossen. Die Nato etwa, die in Europa fünfzig Jahre lang den Frieden gesichert hat und heute auf dem Balkan die Menschenrechte verteidigt, könnte nie den Friedensnobelpreis erhalten.

In diesem Jahr wird Jimmy Carter geehrt, der amerikanische Ex-Präsident. Hat der Erdnussfarmer aus Georgia die Auszeichnung verdient? Sagen wir es diplomatisch: Er hat sie nicht nicht verdient. Das Abkommen von Camp David liegt zwar bereits ein Vierteljahrhundert zurück, aber bis heute ist es ein Beweis dafür, dass selbst im Nahen Osten aus Feinden relativ friedliche Nachbarn werden können. Auch die späteren Aktivitäten des humanitären Interventionisten schlagen eher positiv zu Buche. Carter war meist dort, wo Diktatoren beschwichtigt, Sanktionen gelockert, Hungersnöte gelindert oder erste freie Wahlen abgehalten werden sollten. Wer den tief religiösen Mann dafür schätzt, nennt sein Engagement unermüdlich. Wer das Wirken mit etwas weniger Idealismus betrachtet, zollt dem 78-Jährigen für seine rührenden Aktivitäten zumindest Respekt. Carter hat dem Weltfrieden eher genutzt als geschadet. Den Statuten des Nobelpreises entspricht er wohl. Dem Ruf allerdings, den das Komitee zu verteidigen hat, ist es in diesem Jahr kaum gerecht geworden.

Das liegt daran, dass in erster Linie nicht Jimmy Carter gewürdigt, sondern George W. Bush geohrfeigt werden sollte. Zu seiner Ehre muss dem Komitee bescheinigt werden, diese Absicht nicht verborgen gehalten zu haben. Es verkündete seine Entscheidung nur wenige Stunden, nachdem beide Häuser des US-Kongresses mit großer Mehrheit den Präsidenten autorisiert hatten, notfalls Krieg gegen den Irak zu führen. Die aktuelle Entwicklung sowie den gesamten außenpolitischen Kurs der gegenwärtigen US-Regierung lehnen die Verleiher des Friedensnobelpreises ab. Bush ist ihnen zuwider, und in Carter wittern sie die Chance, dies elegant zum Ausdruck bringen zu können. Nominiert war Carter schon oft. Doch erst jetzt wurde der ewige Zweite zum Sieger erkoren. Die Gelegenheit war günstig, um damit der Welt eine dringliche Botschaft zu übermitteln: Hände weg vom Irak!

Ein Preiskomitee ist nicht verpflichtet, die Widersprüche, in die es sich verwickelt, aufzulösen. Im vergangenen Jahr wurden die Uno und deren Generalsekretär Kofi Annan ausgezeichnet. Sämtliche Resolutionen des UN-Sicherheitsrates hat Saddam Hussein verletzt. Wie man ihn zu deren Einhaltung zwingen kann, ohne glaubwürdig mit dem Einsatz von Gewalt zu drohen, bleibt das Geheimnis derjenigen, die glauben, das Gute auf Erden alleine durch Sanftmut befördern zu können. Das Friedensnobelpreiskomitee muss diesen Glauben verteidigen. Das macht es so erhaben. Und manchmal so abgehoben.

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