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Ein Georgier gibt in Tiflis seine Stimme ab.

© Reuters

Parlamentswahl in Georgien: Eine Explosion und viel Streit

Georgiens Parlamentswahl wird vom Zwist zwischen der Partei „Georgischer Traum“ und der Nationalbewegung von Ex-Präsident Saakaschwili überschattet.

Fünf Tage vor der Parlamentswahl am Samstag ließ ein lautes Explosionsgeräusch im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tiflis die Menschen aufschrecken. Schnell sprach sich herum, dass eine Explosion am Auto von Oppositionspolitiker Giwi Targamadse den Knall verursacht hatte. Er und sein Fahrer konnten unverletzt aussteigen, doch vier Passanten mussten ins Krankenhaus.

Die Behörden nahmen Ermittlungen wegen Mordversuchs auf. Targamadses Partei, die „Vereinte Nationalbewegung“, sprach von einem Terroranschlag und kritisierte die Reaktion des Premierministers Giorgi Kwirikaschwili scharf. Dieser hatte nicht nur von Sabotage gegen den Staat gesprochen, sondern auch gesagt, dass Immunität und eine ausländische Staatsbürgerschaft nicht vor Bestrafung schützen würden. Die Nationalbewegung verstand dies als Hinweis auf einen möglichen Täter in ihren eigenen Reihen.

Ihr einstiger Führer ist Michael Saakaschwili, der von 2004 bis 2013 Präsident des Landes war. Er ist inzwischen ukrainischer Staatsbürger und Gouverneur von Odessa. Saakaschwili hatte sich immer wieder in den Wahlkampf eingeschaltet. Auch redete er davon, nach der Wahl ins Land zu kommen, obwohl ein Haftbefehl wegen Machtmissbrauchs gegen den einstmals im Westen viel gelobten Politiker vorliegt.

Angesichts der Aufregung um die Explosion ging die Debatte vor der Wahl am Samstag über die Inhalte verloren. Im Mittelpunkt stand nur noch der Streit zwischen der Nationalbewegung und der Regierungspartei „Georgischer Traum“. Beide Seiten beanspruchen für sich, die größte Zustimmung in der Bevölkerung zu haben und die nächste Regierung stellen zu können. Dabei sind die Menschen vor allem daran interessiert, wie die Probleme des Landes gelöst werden können, wie Ana Natswlischwili von der unabhängigen Organisation der „Jungen Anwälte Georgiens“ sagt. Den Bürgern würden einfache Versprechen nicht mehr genügen. Sie erwarteten von den Politikern konkrete Lösungsvorschläge. Am drückendsten sind die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit und die schwierige soziale Lage vieler Menschen.

Die stark polarisierte Diskussion zwischen den beiden großen Parteien hätten die Menschen hingegen satt, sagt Natswlischwili. Ohnehin sind beide in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung nicht sehr weit auseinander. Ihr Kurs ist demokratisch und pro-europäisch. Sie streben eine Mitgliedschaft in EU und Nato an.

Die lang ersehnte Visaliberalisierung für Georgier wurde mehrfach verschoben

Allerdings sind diese Ziele in weite Ferne gerückt. Auch die lang ersehnte Visaliberalisierung für die georgischen Bürger wurde mehrfach verschoben. Die Schuld dafür geben die Georgier vor allem der EU. Denn die sehr konkreten Vorgaben aus Brüssel hat die georgische Regierung penibel umgesetzt, wie die EU selbst bestätigte.

Besonders verärgert sind junge, gut gebildete Bürger, die immer wieder die langen Prozesse der Visabeantragung durchlaufen müssen, um zum Beispiel an Konferenzen teilnehmen zu können. Auch fällt es ihnen immer schwerer, die EU gegenüber skeptisch eingestellten Verwandten oder Bekannten zu verteidigen. „Die EU muss ihr Versprechen erfüllen, um das Vertrauen der Menschen nicht zu verlieren. Auch Europa ist eine Verpflichtung eingegangen“, sagt Natswlischwili.

Sie und andere sehen sich immer mehr in der Defensive gegenüber anti-europäisch, ultra-konservativ und nationalistisch eingestellten Akteuren. Diese gewannen in den vergangenen Jahren mehr Einfluss, nicht nur, weil die EU-Skepsis wuchs, sondern auch, weil sie sich freier entfalten konnten als noch unter Saakaschwili, der am Ende seiner Amtszeit immer autoritärer regierte.

So lauert die ultranationalistische „Allianz der Patrioten“ auf ihre Chance. Ihr Politsekretär Giorgi Lomia rechnete schon vor der Wahl mit Fälschungen und kündigte Protest an. Lomia bestritt, dass seine Partei pro-russisch, ausländerfeindlich und homophob sei, wie es die Inhalte der Kommentare seiner Parteifreunde in georgischen Medien nahelegen. Auch wies er die Vermutung zurück, dass die Partei finanzielle Unterstützung aus Russland erhält.

Umso wichtiger wäre eine stabile innenpolitische Lage in Georgien. Doch wenn das Wahlergebnis keine ausreichende Mehrheit für eine der Parteien ergibt, folgen drei Wochen politischer Unsicherheit bis zum zweiten Wahlgang. Die Äußerungen einiger Politiker legen nahe, dass sie versuchen könnten, eine Entscheidung mit Protesten auf der Straße herbeizuführen. Doch die Georgier wollen einen geordneten politischen Prozess, da sind sich viele Beobachter einig. Revolutionen und Unruhe haben sie in den vergangenen 25 Jahren genug erlebt.

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