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Politik: Eine Familienbande Bayern? Wie tickt

Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer will seine Partei aus der Vergangenheit herausholen. Ganz ans Ziel ist er nicht gekommen Uli Hoeneß hinterzieht Steuern, Seehofers Kabinett ergeht sich in Nepotismus, die CSU regiert gefühlt seit Anbeginn der politischen Zeitrechnung. Ein Blick in den Süden der Republik.

In etwa so sieht sie aus, die volle Packung Bayern. Am Mai-Feiertag um die Mittagszeit spielt in Neuried, einer Gemeinde im Münchner Umland, die Blasmusik auf. Die Bewohner zwängen sich massenhaft in Dirndl und Janker, Bier wird in Maßkrüge gezapft. Es ist ein bedeutender Tag für Neuried, denn der neue große und prächtige Maibaum ist aufgestellt. Die Kinder rasen überall herum, die Bürgermeisterin ist ebenso da wie Georg Fahrenschon. Ganz privat begrüßt der Neurieder, der CSU-Finanzminister war und jetzt in Berlin dem Sparkassenverband vorsteht, reihenweise alte Freunde. Das schöne Bayern ganz in Weiß-Blau. Am späten Abend dieses Tages der Fußballsieg in Barcelona. Bayern im Höhenrausch – immer am besten, immer ganz vorne.

So sieht das auch Horst Seehofer und die CSU, die sich über Jahrzehnte hinweg als die De-facto-Staatspartei geriert hat und auch für eine solche gehalten wurde. Doch Höhenflug und Absturz liegen hier so nah beieinander, das zeigt der nächste Tag: FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß legt als mutmaßlicher Steuerkrimineller per Interview die große öffentliche Beichte ab. Ein Mann komplett am Boden, seit Polizei und Steuerfahnder im März sein Haus am Tegernsee durchsucht und ihn erst einmal mit einem Haftbefehl abgeführt hatten. Und dann erhöht sich die Zahl der Kabinettsmitglieder im Laufe des Tages schon auf sechs, die in den vergangenen Jahren Verwandte in der einen oder anderen Art auf Kosten des Landtags beschäftigt hatten. Alle kommen von der CSU, keiner vom kleinen FDP-Koalitionspartner. Das sind der Kultusminister Ludwig Spaenle und der Landwirtschaftsminister Helmut Brunner, die Staatssekretäre des Innen-, Finanz- und Kultusressorts sowie die Justizministerin Beate Merk. Hinzu kommen Georg Winter, zurückgetretener Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Landtag, sowie Ex-CSU-Fraktionschef Georg Schmid.

Die Namen sagen nur Interessierten der bayerischen Landespolitik etwas. Doch sind sie ein Teil des Machtgerüsts im Kabinett Seehofer, das insgesamt 18 Mitglieder umfasst. „Nicht gut“ sei diese Form der „Familienhilfe“, sagt Seehofer. Die Varianten sind weit gestreut quer durch den Landtag: Abgeordnete verschafften den Ehefrauen, Kindern, Eltern, Geschwistern oder auch Vettern Jobs, das besserte die Familienkasse auf. Die meisten gehören der CSU an, doch es gibt auch vereinzelt Fälle in der SPD, den Freien Wählern und den Grünen. „Aufstocker“, sagt der SPD-Spitzenkandidat Christian Ude ironisch, „sind in Bayern Spitzenpolitiker, die das Steuergeld in die eigene Familie investieren.“ Die neue CSU-Fraktionsvorsitzende, die altgediente Christa Stewens, meint: „Das schadet der parlamentarischen Demokratie.“ So schnell wie möglich sollen nun die laxen Vorschriften für die Beschäftigung von Familienangehörigen geändert und verschärft werden. Plötzlich bebt das politische Bayern in seinen Grundfesten.

Georg Schmid haben sie in wenigen Tagen ausgestoßen. Am 20. April feierte er noch seinen 60. Geburtstag im Kreise der Parteifreunde, dann ging alles ganz schnell: Es wurde bekannt, dass die Ehefrau bis zu 5500 Euro im Monat als seine Sekretärin erhielt. Sein eigenes Einkommen lag inklusive Zulagen bei mehr als 24 000 Euro – deutlich höher als beim Ministerpräsidenten, kaum weniger als die Bundeskanzlerin. Schmid trat ohne Einsicht und Bedauern vom Posten des Fraktionsvorsitzenden zurück. Er habe seinen „Beitrag geleistet, die Erfolgsgeschichte Bayern fortzuschreiben“, sagte er. Doch für den neuen Landtag im Herbst wollte er noch einmal kandidieren. Seehofer setzte ein Ultimatum, Schmid gab ganz auf und räumte selbst den Posten des Kreisvorsitzenden in seiner schwäbischen Heimat Donauwörth.

Täglich titeln die Münchner Boulevardzeitungen über die „Abzocker-Politiker“ von der CSU. Ein anderes A-Wort fürchten sie vielleicht noch mehr. Und deshalb sah sich Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer kürzlich zu einer Klarstellung genötigt. Eigentlich wollte der Parteivorstand im Kloster Andechs über das Wahlprogramm beraten. Doch dann ging es um die Familienhilfe, und Seehofer nahm das gefürchtete Wort in den Mund: „Wir haben in Bayern kein Amigo-System.“

Der Chef selbst legt, sofern das erkennbar ist, großen Wert darauf, fernab von jedwedem Amigo-Verdacht zu regieren. Er mag solche Verquickungen gar nicht in seiner CSU, denn er weiß, dass sie schnell zu Gift werden können. Und gerade Mandatsträger und Funktionäre einer Partei wie die der Christsozialen, die weiterhin so sehr mit der Gesellschaft verwoben sind, stehen immer in Gefahr. Mal die Hand aufhalten, mal eine Gefälligkeit leisten, mal den Familienclan fördern. Bis heute verstehen manche ganz aufrichtig weiterhin nicht, was so anstößig daran sein soll, äußerst fähige Ehefrauen, Kinder oder Geschwister zu beschäftigen. Da muss man doch nicht außerhalb mühevoll nach geeignetem Personal suchen.

War nicht Franz Josef Strauß der größte bayerische Amigo? Das ist lange her, Strauß ist seit 24 Jahren tot. Ihn umwebt heute eine mythische Aura, gepflegt von denjenigen, die noch mit ihm zu tun hatten. Wilfried Scharnagl etwa oder Peter Gauweiler, die von Seehofer in wenig bedeutsame folkloristische Parteikommissionen abgeschoben werden. Der gestürzte Strauß-Nachfolger Max Streibl ist da mit seinem „Saludos, Amigos!“-Ausruf beim Politischen Aschermittwoch 1993 schon präsenter.

Innerhalb der Partei und mit seiner Politik im Freistaat bemüht sich Horst Seehofer schon, auch das Amigo- Prinzip auszutreten. „Das Volk ist mein Verbündeter“, sagt er immer wieder. Und nicht irgendwelche Spezl-Gesellschaften. „Mia san mia“ – das zieht in Bayern weiterhin. Aber „Hund san’s scho“ ist kein Ausspruch mehr, der noch ein kumpanenhaftes Lächeln auslöst. Und wenn ein CSU-Kommunalpolitiker etwas außergewöhnlich „hinterfotzig“ gemacht hat, so ist das alles andere als ein Lob. Man kann Seehofer für einen Egomanen halten, in Berlin gilt er vielen mit seinen ständigen Pirouetten und raunenden Drohungen mittlerweile als Lachnummer. Doch er hat auch ein Ziel: die CSU aus der Vergangenheit herauszuholen und dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der bayerischen Gesellschaft anzunähern.

Halb ist ihm das geglückt, halb bleibt er damit stecken. Die Frauen, die Jungen, die Leute aus den Großstädten – sie machen den Mund etwas weiter auf in der Partei, sie bekommen den einen oder anderen Posten. Ilse Aigner, die überall nur „die Ilse“ genannt wird, strahlt unablässig als die neue Hoffnungsfrau, die alles in sich vereinen soll: weiblich, recht jung, traditionell geerdet und doch ganz offen für das moderne Bayern. Seehofer will, dass die Ilse, derzeit Verbraucherministerin in Berlin, sich im Herbst nach der Wahl in Bayern bewährt und zeigt, dass sie ihm eines ferneren Tages eine würdige Nachfolgerin sein kann.

Der Parteichef hat die Frauenquote durchgesetzt, doch die Listenaufstellungen für die Wahlen im Freistaat und im Bund zeigen, dass weiterhin die älteren, ländlich geprägten Männer dominieren. Er veranstaltet die Facebook-Party mit großem medialen Wirbel. Die CSU setzt Exoten wie den einstigen Dschingis-Khan-Sänger Leslie Mandoki auf die Liste, um ein bisschen Glamour zu bekommen. Doch die Familienaffäre verhagelt Seehofer nun vielleicht alles. Ihm sind die Hände gebunden. Er kann schimpfen und absolute Transparenz einfordern. Rauswerfen kann er die Betroffenen nicht mehr, vier Monate vor der Landtagswahl. Es wären viel zu viele.

Auch in der Landespolitik scheint sich Seehofer halb durchzusetzen und halb steckenzubleiben. Seine ganzen Wendungen lösen immer wieder Verwirrung aus, richtig schaden tun sie nicht. Denn sie sind notwendig: Der Atomausstieg wurde als Paukenschlag inszeniert. Wie die ganze Energie jetzt nun neu erzeugt werden kann, wie es mit den dringend benötigten Stromtrassen weitergeht – nun ja, ein Thema für die Sacharbeiter. Die Studiengebühren gibt es nach Monaten des Streits nicht mehr. Nach Seehofer-Lesart hat sie die CSU im Landtag abgeschafft und nicht etwa die Opposition, die auf den Straßen die Stimmen für einen Volksentscheid einsammelte.

Es drohte dabei ein Volksentscheid. Und wenn das Volk sich aufmacht, etwas höchst persönlich regeln zu wollen, dann wird die CSU ganz hellhörig. Das Gewürge um den Nichtraucherschutz vor drei Jahren ist noch in bester Erinnerung. Da gaben die Christsozialen am Ende gar nichts mehr vor und gelangten strategisch ins Hintertreffen. Eine CSU, die keine Meinung hat, ist keine CSU mehr. Das Volk watscht manchmal gerne die Politik ab. Etwa, als die Münchner sich gegen den Bau der dritten Startbahn am Münchner Flughafen aussprachen.

Bayern geht wie eine Schere auseinander. Es ist das größte Einwanderungsland der ganzen Republik. Die Hochqualifizierten – die Ingenieure, Juristen und Betriebswirte – stürmen die Metropole München. Trotz absurd hoher Miet- und Immobilienpreise wird ein Bevölkerungszustrom prognostiziert, den die Stadt kaum verarbeiten kann. Auch die Handwerker kommen nach Bayern. Polnische Maler etwa finden hier Arbeit und verdienen Geld – und nicht etwa in Bremen oder Berlin. Sind sie findig, gründen sie ihr eigenes Unternehmen und beschäftigen bald ein paar Angestellte. Im Münchner Speckgürtel gibt es genug hochzuziehen, zu renovieren und umzubauen.

Zugleich müsste man fast schon ein Notprogramm für die sich entvölkernden Gebiete im Norden Bayerns ausrufen – den Bayerischen Wald oder die Oberpfalz. Schulen werden geschlossen, junge Leute ziehen weg oder nehmen täglich dreistellige Kilometerzahlen zum Pendeln in Kauf. In den Orten bleiben die Rentner und man hofft auf Touristen.

Zurück zu den Bürgern im Maibaum-glücksbeseelten Neuried. Da sieht man diejenigen, die in den Umfragen stolz bekennen, wie sehr sie ihr Bayern lieben. Das sind viel mehr als in anderen Bundesländern. Und dass sie nur unter äußerstem Druck den Freistaat verlassen würden. Speziell in Oberbayern sind die Menschen, noch so eine Statistik, bundesweit am gesündesten und fittesten. Und das mit Tracht, Musi und dem ganzen anderen Firlefanz. Man sollte das nicht so ernst nehmen. Es ist Maskerade, Karneval, auch die Bayern lachen gerne darüber.

Die Bayern haben damals ja sogar gegen das Grundgesetz gestimmt. Spinnen die denn?

Ja, Herrschaftszeiten, die Bayern und das Grundgesetz. Soll niemand glauben, die wären keine Demokraten, nur weil sie damals dagegen gestimmt hatten. Erstens hat sich die Ablehnung gelegt, das kriegerische Bergvolk aus dem Land unter schroffem Fels und hohem Tann ist ja gar nicht so kriegerisch, wie es gern tut. Oder genauer: Wie das der Altbayer gerne tut. Das sind gewissermaßen die Urbayern.

Nur am Rande: Es gibt Bayern schon so lang, viel länger als Deutschland, 1000 Jahre Geschichte, und es war groß, mit der Steiermark, mit Kärnten, mit Tirol, später mit Verona und Krain. Das waren Zeiten – denen dann als Erster mal Karl der Große den Garaus machte. So lange ist das her. Ach Gott, und man könnte noch so viel mehr erzählen. Die Rhein-Pfalz hat auch mal zu Bayern gehört! Sogar bis 1945. Der Vater des bundesdeutschen Rekordkanzlers Helmut Kohl war noch bayerischer Beamter. Von den Agilofingern angefangen, übers Königsreich von 1806 an, die erste Verfassung, „Konstitution“, im Jahr 1808, das Wahlrecht ab 1881 – kurz: die Bayern waren nie hintendran.

Sondern hatten schon 1946 ihre eigene Verfassung, eine „Vollverfassung“, angestoßen vom Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner, dem ersten und bisher einzigen Genossen an der Spitze dieses Staates, gebilligt vom Volk mit etwas mehr als 70 Prozent. Damals gab es auch eine eigene bayerische Staatsangehörigkeit. Die gibt es, wenn man so will, bis heute. Sie ist auch durch das Grundgesetz, erst 1949, nicht überholt.

Ach, nicht zu vergessen: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes für das Bundesgebiet tagten wo? In Bayern, in Herrenchiemsee. Die wussten auch, wo's schön ist.

Was wäre aus Deutschland unter einem Bundeskanzler Franz Josef Strauß geworden?

Gott, der FJS wär’s doch nie geworden. Mit dem sind doch immer mal wieder die Pferde durchgegangen. Ein barocker Mensch war er, Leben im Übermaß, sensibel, leidenschaftlich, überheblich, hyperintelligent. Ein Redner, der sich an sich selbst berauschen konnte, einer, der andere in Begeisterung versetzen konnte – aber eben besonders in Bayern. Was hat der da für Reden gehalten. Die „Wienerwald-Rede“ zum Beispiel, als er hinter geschlossenen Türen vor der Jungen Union in München über Helmut Kohl herzog. Im Bund unterlag er immer wieder, vor allem Helmut Kohl, aber auch als Kanzlerkandidat 1980.

Am Tag, nachdem er gestorben war – am 3. Oktober 1988, übrigens sinnigerweise seit 1990 Tag der Deutschen Einheit –, waren schon Tausende an der Krankenhauskapelle. Als der bayerische Ministerpräsident dann ein paar Tage darauf auf einer von sechs Pferden gezogenen Lafette in seinem von der bayerische Fahne bedeckten Sarg München durchmaß, wurde der Zug von mehr 100 000 Menschen verfolgt. Der größte Trauerzug in der Geschichte der Stadt. Und Joseph Ratzinger, damals noch Kardinal, sagte: „Wie eine Eiche ist er vor uns gestanden, kraftvoll, lebendig, unverwüstlich, so schien es. Und wie eine Eiche ist er gefällt worden.“

Die bayerische Eiche. Ein deutscher Staatsmann war er aber auch, bei allem Wilden, das ihm anhaftete; das seine Gefolgsleute liebten und seine Gegner, ja, doch, verachteten. So war er: Ein Antikommunist, der 1983 den Milliardenkredit an die DDR vermittelte; der eigenhändig nach Moskau zu Michail Gorbatschow flog und zweieinhalb Stunden mit ihm sprach; der früher als fast alle anderen nach Peking reiste und mit Mao redete; der Erich Honecker 1987 in Bayern mit allen Ehren empfing. Einer, der in der Frühzeit der Bonner Republik Atomminister war und danach die neu geschaffene Bundeswehr als Verteidigungsminister atomar bewaffnen wollte; der Israel mehr als alle anderen in der Regierung seinerzeit militärisch helfen wollte und zugleich mit faschistischen Diktatoren in vieler Herren Länder gut konnte. Einer, der mit so vielen Affären in Verbindung gebracht wurde wie wohl kein Zweiter. Aber es hat ihm, so gesehen, nicht geschadet: In seinen Prozessen hat er gewonnen, und wenn er politisch verloren hatte, war es seinen Bayern auch egal. „A Hund is er scho“, so sagt es der Bayer, voller Bewunderung, und bis heute hat es darin keinen Größeren gegeben. Ob das aber auf Deutschland übertragbar gewesen wäre, dieses Gefühl? Schon der Satz ist ja kaum zu übersetzen.

FJS, Max Streibl, Uli Hoeneß und andere mehr … Bayern ein Amigo-Staat?

Nach Strauß kam Max Streibl. Wer? Genau. Wer kennt ihn schon noch. Leben im Übermaß der eine, Regieren unter Mittelmaß der andere. Selbst die Amigo-Affäre von Streibl, wo er sich von einem Unternehmer nach Brasilien und nach Kenia hatte einladen lassen und darum Gefälligkeiten vermutet wurden, hatte keine Klasse. In Erinnerung geblieben ist Streibl mit dem Spruch „Saludos, Amigos“, mit dem er der Kritik launig die Spitze nehmen wollte, was aber danebenging; und mit dem Polizeikessel 1992, als die bayerische Polizei beim Weltwirtschaftsgipfel in München 500 Demonstranten festnahm. Als das Vorgehen der Polizisten kritisiert wurde, meinte Streibl, es sei halt „bayerische Art“, da „etwas härter hinzulangen“. 1993 langte die CSU etwas härter hin, für Streibl war Schluss und Edmund Stoiber kam, früher genannt „das blonde Fallbeil“. Heute ist der soigniert und emeritiert, sitzt im Aufsichtsrat beim FC Bayern Hoeneß und wird sich über den die silber-weißen Haare raufen. Denn Affären hatte Stoiber nie. Und Amigos kennt der Bayer nicht. „Spezln“ schon eher. Aber die sind irgendwie überall zu Hause, heißen dann nur anders.

Gibt es den Geist von Kreuth noch?

Ja, in Kreuth, dem „Wildbad“. Nomen wirkt wie Omen: In Wildbad Kreuth hinterm Tegernsee treffen sich jedes Jahr die CSU-Abgeordneten; es ist eine Klausurtagung mit Tradition und offener Aussprache. Edmund Stoiber hat das auch erlebt.

Und der Geist lebt in der Erinnerung. 1976, da hatte Strauß die Nase voll von diesen Nichtskönnern von der CDU, namentlich Kohl, und wollte die Bundesausdehnung der CSU, damit die Union endlich ans Regieren käme. Dazu kam es dann nicht, weil sogar in der CSU etliche das nicht wollten, Theo Waigel, später mal CSU-Chef, zum Beispiel; aber auch, weil die CDU mit Kohl an der Spitze und General Heiner Geißler als seiner Speerspitze mit einem Einmarsch der CDU nach Bayern drohte. So weht manchmal noch der Geist durchs Gemäuer, ist der jeweilige CSU-Oberbayer mal wieder sauer. Mehr allerdings auch nicht.

Braucht Deutschland mehr CSU, auch in den anderen Bundesländern?

Mehr Bayern, ob Schwaben oder Franken oder Altbayern. Minnesänger wie Walther von der Vogelweide, Maler wie Albrecht Dürer, Erfinder wie Konrad Röntgen … Alles das brauchen die Deutschländer. Mehr davon. Wir brauchen Kultur, Wagemut, interessante Köpfe. Ob die aber alle aus der CSU kommen – daran zweifelt bei weitem nicht nur der Ude-Christian, der SPD-Spitzenkandidat für die nächste Landtagswahl.

Was seine Partei allerdings von der CSU lernen kann, gleich wo: wie man trotz harter Auseinandersetzungen, härtester oftmals, zur Geschlossenheit zurückfindet. Dafür ist die CSU geradezu berüchtigt. Wenn’s drauf ankommt, wenn du denkt, jetzt ist es mit ihr vorbei, dann kommt einer und macht den Streithähnen klar: Es gibt etwas, das größer ist als wir, und das ist – unser Bayern. Den ersten Teil des Satzes hat Rudolf Scharping der SPD auch schon mal gesagt. Den Anhang nicht. Und der macht den Unterschied.

Die CSU sieht sich nämlich, wie der berühmte Journalist Herbert Riehl-Heyse von der „Süddeutschen Zeitung“ vor Jahrzehnten spöttisch bemerkte, als die Partei, die das schöne Bayern erschaffen, ja erfunden hat. Als Staatspartei. Wahr ist immerhin, dass sie Staat gemacht hat. Und dieses Lebensgefühl hat sich ausgebreitet: dieses „Mia san mia“. Darum denkt der FC Bayern ja auch, er sei die legitime bayerische Fußballnationalmannschaft. Die Bayern hätte, wenn es eigenständig wäre, wie es Wilfried Scharnagl will, der frühere Chefredakteur des „Bayernkurier“, des CSU-Zentralorgans (von Scharnagl dachte Strauß selig, dass der das sagt, was er denkt und umgekehrt).

Aber noch mal: Das Gemeinschaftsgefühl, das eint die Bayern. Der Stolz auf die Heimat, die Bereitschaft, das Schöne zu sehen und zu pflegen – das dürften sich ruhig auch die Bindestrich-Bundesländer zum Vorbild nehmen. Bei denen ist eines allerdings besser: Wo immer sich eine Partei als Staatspartei aufführte, ist sie abgewählt worden. Die CSU hatte 1950, wegen der Bayernpartei, auch mal nur 27,4 Prozent.

Laptop und Lederhose – ein Spagat, der schiefgegangen ist?

Aber gar nicht! Die Entwicklung vom agrarisch geprägten Land zu dem, wo sich High Tech, Biotech, Luft- und Raumfahrt ansiedeln, ist schon bemerkenswert. Gut, es mussten keine alten Industrien wie im Ruhrgebiet abgewickelt, sondern konnten auf weiten Feldern neue entwickelt werden. Nur heute sieht es eben richtig gut aus. Beim Exportvolumen wäre Bayern Nummer 18 der Welt. Und ständig strömen Bundesbürger dorthin, jedes Jahr. In 20 Jahren 1,5 Millionen. Die kaufen sich dann Lederhosen und Janker und versuchen, die einheimische Sprache zu sprechen, für echte Bayern ein Graus. Besonders in München ist das bayrische Element derweil eher Ornament. Aber sei’s drum, die Bayern haben schon so viele integriert, da kommt es auf ein paar Tausend jährlich nicht an. Oder doch: Es sind meistens die Besten, und die bringen die bayerische Wirtschaft voran. Auch die Gastwirtschaft.

Markus Söder, Alexander Dobrindt, Horst Seehofer, Edmund Stoiber, Peter Ramsauer: der typische bayerische Politiker – ein unterphilosophierter Haudrauf?

Von Alexander Dobrindt, zum Beispiel, sagen selbst Sozialdemokraten, dass er sehr nett und durchaus klug sei. Der CSU-Generalsekretär hat wahrscheinlich grundsätzlich eine andere Aufgabenbeschreibung als der Generalsekretär anderer Parteien. Der haut dazwischen und drein und daneben, macht sich unbeliebt, wo der Chef sich ansonsten beliebt machen will. Das war – soweit erinnerlich – zu allen Zeiten so. Ob Gerold Tandler oder Edmund Stoiber oder Markus Söder oder: Als Philosophen wurden sie alle weniger bis gar nicht geschätzt. In dem Job müssen sie organisieren, mobilisieren, intrigieren. Und dienen. Mitunter durchaus der Sache. Zum Dank werden sie geschurigelt, von allen, und später vielleicht irgendwas, wo sie zeigen können, dass sie mehr sind als die Summe aller Spiegelstriche aus dem Parteiprogramm (als Sekretär) oder auf Nutzwert programmierte Parteisoldaten (denn General wollen sie alle noch werden). Ja, und Peter Ramsauer: Der ist anderen führenden CSU-Leuten manchmal schon eher zu leise, zu nachdenklich, zu abwägend. Und wenn er’s mal nicht ist? Dann ist er nicht er selbst. Sondern CSU-Vize.

Früher Empfänger im Länderfinanzausgleich, heute Geber und Kläger: ein Land voller Egoisten?

Das Wams ist ihnen schon näher, so viel ist schon mal sicher, als der preußische Gehrock. Aber: Bayern hat aus dem Länderfinanzausgleich zu seinen Anfangszeiten, als es noch Nehmerland war, insgesamt 3,4 Milliarden Euro erhalten; gezahlt hat es inzwischen, als Geberland, 40 Milliarden Euro. Was ist das? Gerecht? Egoistisch, wenn es so nicht auf Dauer weitergehen soll? Ein Lastentilgungsfonds, wie ihn Olaf Scholz aus Hamburg oder hier in Berlin Ulrich Nußbaum vorschlagen: Das könnte allen entgegenkommen. Dann muss keiner mehr klagen, so oder so nicht. Bis dahin sollte es die Bayern eher stolz machen, dass die Sau Preiß’n so abhängig sind von ihnen. Ludwig Filser könnte Brief um Brief aus Berlin darüber schreiben. Das wär’ viel lustiger als das heutige Gemecker. Das passt doch so gar nicht zum vermeintlich hohen bayerischen Selbstwertgefühl. Oder ist es, anders, der Beweis, dass es damit gar nicht so weit her ist? Dann werden sie der Berliner halt nie Herr werden.

Mia san mia: Muss der Freistaat ein eigener Staat werden?

Wie es war, einmal war, wird es nie wieder sein, das ist klar. 1946 ff. hatten sie ihre Chance. Heute mögen die Leute manchmal noch davon träumen, die Scharnagls und Gauweilers, aber würde Horst I. Seehofer so schöne Schlösser bauen wie der „Kini“, Ludwig II.? Oder würde einer so weit denken (können) wie der Graf Maximilian Carl Joseph Franz de Paula Hieronymus von Montgelas? Was der alles ersann um 1777 bis 1799, und was der alles wollte: Gleichstellung aller Bürger, Abschaffung der Privilegien des Adels, eine konstitutionelle Monarchie, ein Zivilrecht, eine effiziente Verwaltung … So weit war der damals schon! Ein Montgelas, ja, der fehlt ihnen. Ein König nicht. Aber Bayern würde Deutschland fehlen. Schon allein als Reiseland.

Gewinnt die CSU für die Union die Bundestagswahl?

Das hätte Angela Merkel wohl gerne. Die CSU muss, aufs Bundesgebiet umgerechnet, sehr gut abschneiden, damit die Unionsfraktion so stark wird, dass keine Regierung gegen sie gebildet werden kann. Oder damit sie zumindest so stark bleibt, dass sie als Erste den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Das wird, wegen der ganzen bayerischen Geschichten dieser Tage, auch nicht leichter werden. Sagen wir so: Die CSU muss aufpassen, dass sie für die Union nicht die Bundestagswahl verliert. Man meint, den Seehofer bis hierher fluchen zu hören: Himmiherrgottsakramentzefixmilecktsamoarschscheißglumpvarreckts.

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