zum Hauptinhalt

Politik: Eine Lösung, die das Problem erst schafft

Von Gerd Appenzeller Manche Begriffe in der Politik sind wie eine Erdbeerbowle, die mit Zucker und Weinbrand angesetzt wurde: Sie duften verführerisch, machen aber einen furchtbaren Brummschädel. „Große Koalition“ ist so ein Geschmacksverstärker, der letztlich zu Katzenjammer führt.

Von Gerd Appenzeller

Manche Begriffe in der Politik sind wie eine Erdbeerbowle, die mit Zucker und Weinbrand angesetzt wurde: Sie duften verführerisch, machen aber einen furchtbaren Brummschädel. „Große Koalition“ ist so ein Geschmacksverstärker, der letztlich zu Katzenjammer führt. Große Koalition, das klingt nach dem schneidigen Satz von Wilhelm II: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“

Irgendwie scheint die Sehnsucht nach konfliktfreien Zeiten und überwältigenden Mehrheiten, das Igittgefühl gegenüber den Parteien in den Deutschen noch drinzustecken. Wie sonst ist zu erklären, dass das vermeintliche Zauberwort immer wieder hochkommt. Letzte Woche überfiel es den frisch gewählten DGB-Vorsitzenden Sommer. Jetzt hat es Brandenburgs Ministerpräsidenten Stolpe erwischt. Beide trieb die Sorge, für Rot-Grün würde es am 22. September zu knapp werden. So etwas macht den Kanzler zornig. Für ihn sind öffentlich geäußerte Zweifel am Wahlsieg schierer Defätismus, der nur dem politischen Gegner hilft. An der Befürchtung ist viel dran.

Sommer und Stolpe hat es schnell Leid getan, dass sie das Bah-Wort ausgesprochen haben. An „Große Koalition“ - wir reden vom Bund - darf man denken. Darüber sprechen aber darf man nicht. Große Koalition klingt eben nur verführerisch. Sie ist wie ein Treibanker, der ein Schiff bestenfalls vorübergehend stabilisieren kann. In Wirklichkeit rettet sie nur in den seltensten Fällen etwas. Die Verabschiedung der Notstandsgesetze war die äußere Rechtfertigung für die einzige Große Koalition, die die Bundesrepublik jemals hatte, von 1966 bis 1969. Sie bescherte uns - neben den allerdings tatsächlich zwingend notwendigen Notstandsgesetzen - einen Bundeskanzler mit dem Spitzn König Silberzunge und ein legendäres Ministertandem, das als Plisch und Plum in die Geschichte einging. Ach ja, und es bescherte uns einen dramatischen Aufstieg der NPD in Baden-Württemberg und den Zorn der Studenten auf den politischen Meinungseinheitsbrei in Bonn.

Eine Große Koalition, das ist, siehe Notstandsgesetze, eine Regierung für den Ausnahmefall. Die zukunftsorientierte Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme, die Reform der Renten- und Krankenversicherung, wären heute solche Ausnahmefälle. Da geht es um Einschnitte, die man nur im Konsens der großen Volksparteien vornehmen könnte. Aber eine solche Umgestaltung tut weh, denn sie würde in gewohntes Recht, in erhoffte Ansprüche und in Zukunftsplanungen eingreifen. Weder bei der SPD noch bei CDU und CSU ist im Moment jedoch auch nur eine Tendenz erkennbar, irgendetwas zu tun, was das Missfallen der Bürger hervorrufen könnte. Eher bieten beide Gruppierungen weichgespülte Programmatik an. Wie lähmend eine konfliktscheue Koalition aus CDU und SPD sein kann, haben die Berliner mehr als zehn Jahre lang nach der Wende mit ihrem Senat erlebt.

Die Meinungsforschung wird dem vielleicht entgegenhalten, dass Rot-Grün immer noch unbeliebter als die Elefantenkoalition ist. Das stimmt. Die schlechten Werte für die derzeitige Bundesregierung von ihren ersten Tagen bis heute resultieren auch aus dem Widerwillen der Bürgerinnen und Bürger gegen den Pakt an sich. Gerhard Schröder wusste das auch. Er hätte 1998 lieber mit einer CDU unter Wolfgang Schäuble die Regierung gebildet. Aber da in der Liaison mit dem kleineren Partner den Sozialdemokraten mehr Posten und Pfründen winkten, musste er tun, was ihm eigentlich gegen den Strich ging.

Vor 30 Jahren führte die Große Koalition in Bonn zum Erstarken der rechten und linken Absetzbewegungen. Diesmal gäbe es mit PDS, FDP und Grünen drei dann oppositionelle Bewegungen im Parlament, die sich untereinander spinnefeind sind, im Zweifelsfall aber gemeinsam auf Christ- und Sozialdemokraten einprügeln würden. Die harmoniesüchtigen Deutschen erlebten dann ein kaum vorstellbares Maß an Polemik, das nur in neue Politikverdrossenheit und weitere Radikalisierung ausarten könnte.

So groß kann die Not nach dem 22. September kaum sein, dass sich die Deutschen das antun sollten. Aber vielleicht haben Stolpe und Sommer ja auch nur zu viel Erdbeerbowle getrunken.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false