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Politik: Eine Milliarde Franken für Osteuropa

Schweizer stimmen Hilfe für neue EU-Mitgliedstaaten zu – mit durchaus eigennützigen Motiven

Die reiche Schweiz öffnet ihre Schatulle: Eine Mehrheit der Eidgenossen stimmte am Sonntag für eine Finanzhilfe von einer Milliarde Franken (rund 660 Millionen Euro) an die neuen EU-Staaten. Der Geldsegen aus dem Nicht-EU-Mitgliedsland soll die wirtschaftliche und soziale Lage in den jungen Demokratien von Estland bis Ungarn verbessern – die Mittel können in Projekte wie Wasserversorgung, Energie, Umwelt und Sicherheit fließen. Eine Koalition rechter Gruppen unter Führung der Schweizerischen Volkspartei hatte den Urnengang mit einer Unterschriftenkampagne erzwungen: Sie wehrten sich gegen die Zahlung und hatten auf ein Nein der Eidgenossen gehofft.

Die Regierung hingegen hatte beim Volk eifrig für das Ja geworben. „Wir müssen als verlässlicher Partner wahrgenommen werden“, sagte Außenministerin Micheline Calmy-Rey. Der Hintergrund: Die Schweiz hatte gegenüber der EU im Mai 2004 ein Versprechen abgegeben. Damals bot Bern den Europäern eine Milliarde Franken für die zehn neuen EU-Länder an, falls die Verhandlungen über einen neuen Grundlagenvertrag EU-Bern erfolgreich abgeschlossen würden. Kurz darauf einigten sich beide Seiten auf ein Vertragswerk.

Vor der gestrigen Abstimmung warnte auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor einem Schweizer Nein zu der Ostmilliarde: „Das wäre ein sehr schlechtes Signal.“ Und Bern wies die Schweizer offen auf drohende EU-Schikanen hin, falls ein Nein an der Urne herauskäme: „Ich möchte die EU nicht auf schlechte Ideen bringen“, sagte Calmy-Rey. „Aber ein Nein kann Konsequenzen haben.“ Vor allem wollte Bern nicht die zehn neuen EU-Länder gegen die Schweiz aufbringen. In der Tat wäre es für die Regierungen von Warschau bis Budapest ein Leichtes, den Eidgenossen bei neuen Wirtschaftsabkommen das Leben schwer zu machen.

Auch Schweizer Unternehmer drängten ihre Landsleute, der Milliarde an die Ostländer zuzustimmen: Damit werde das Wachstum in den neuen EU-Staaten angekurbelt; die exportorientierte Wirtschaft der Eidgenossen könne nur profitieren. Selbst die Schweizer Gewerkschaften trommelten für ein Ja: Denn gut verdienende Polen oder Ungarn kämen nicht auf die Idee in die Schweiz auszuwandern, „um bei uns zu Billiglöhnen zu arbeiten“.

Dieses Argument wollten die rechtskonservativen Neinsager nicht gelten lassen. Mit der Finanzspritze züchte sich die Schweiz selbst die „Konkurrenz von morgen“, hieß es. Zudem pochten die Widersacher darauf, dass die Schweiz keine rechtlich bindende Verpflichtung zur Zahlung eingegangen sei. „Die Schweiz ist der Europäischen Union nichts schuldig“, schrieben die Neinsager. „Und dennoch will die Schweiz der EU plötzlich saftige Zahlungen leisten“, schimpfte Ulrich Schlüer, Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei. Schlüer und seine Mitstreiter warnten: „Wer einmal einer solchen Erpressung nachgibt, wird ihr immer wieder nachgeben müssen.“

Jan Dirk Herbermann, Carole Boletti[Genf]

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