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Leckerbissen. Die Zeiten, in denen ihr die Partei aus der Hand fraß, sind vorbei. CDU-Vorsitzende Angela Merkel – hier bei einem Besuch des Ozeaneums in Stralsund 2011 – muss vor dem anstehenden Wahlkampf um das Vertrauen der Basis kämpfen.

© Stefan Sauer/dpa/Picture Alliance

Besuch in Mecklenburg-Vorpommern: Eine Prise Gegenwind für Merkel

Die Kanzlerin wird zum Heimatbesuch bei der Nordost-CDU erwartet. Die Zweifel an der Parteichefin wachsen.

Von Robert Birnbaum

Im politischen Terminkalender zählt die Allgemeine Landesvertreterversammlung der CDU Mecklenburg-Vorpommern zu den Ereignissen, für die sich außer den Beteiligten normalerweise kein Mensch interessiert. An diesem Samstag findet die Regel eine Ausnahme. In Stralsund kommt die Nordost-CDU zusammen, um ihre Landesliste für die Bundestagswahl aufzustellen. Platz Nummer eins ist für das Landeskind Angela Merkel vorgesehen, und wie es sich gehört, wird die CDU-Vorsitzende den Delegierten eine Rede halten.

So weit, so Routine. Doch nicht nur in der Landespartei wird dieser Auftritt mit einiger Spannung erwartet. Aus der „Alten Brauerei Stralsund“ erhoffen sich viele ein Signal von der Chefin, wie sie den schwersten Wahlkampf ihrer Amtszeit bestehen will.

Das Signal ist bisher vollständig ausgeblieben. Merkels Reaktion auf den plötzlichen Höhenflug der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz bestand in „Business as usual“ nach außen und der Empfehlung nach innen, den weltlichen Messias aus Würselen nicht durch wilde Schrotschuss-Attacken auch noch aufzuwerten. Merkel weiß aus der Zeit, als sie selbst quasi aus dem Nichts zur Hoffnungsträgerin der CDU aufstieg, wie in solch frühen Phasen der Euphorie alle Angriffe und Einwände abprallen. Die Schulz-Welle, sagen ihre Unterstützer, müsse man abebben und dem Herausforderer Zeit lassen, eigene Fehler zu begehen. Dahinter steckt nicht zuletzt Merkels Erfahrung, dass ihre Gegner sich meist selber am besten erledigt haben.

So kühl wie die Vorsitzende freilich bleibt der Rest der CDU nicht. Selbst ihr treuer Fraktionschef Volker Kauder erzählt der Funke-Mediengruppe einerseits: „Wir sind gelassen!“ – nur um dann zu versichern: „Wir sind wild entschlossen, diese Bundestagswahl zu gewinnen. Von einem Herrn Schulz lassen wir uns nicht verdrängen.“

Rot-rot-grün ist (noch) keine Option

Mit dem landläufigen Verständnis von Gelassenheit sind solche Sätze nur schwer vereinbar. Wahrscheinlich spürt Kauder die Unruhe im eigenen Lager, die mit jeder Umfrage wächst, in der die SPD die Union überholt. Zwar deutet ein Zahlen-Abgleich der Umfrageinstitute darauf hin, dass das Hoch gerade ein Plateau erreicht und der von SPD-Anhängern gefeierte „Schulz-Zug“ keineswegs so unaufhaltsam immer weiter Fahrt aufnimmt, wie es das eingängige Bild suggeriert. Auch geht der Aufschwung der SPD mit Verlusten bei Grünen und Linken einher – ein rot-rot-grünes Bündnis käme derzeit nur auf etwa 45 Prozent.

Aber selbst ein ungefährer Gleichstand der beiden Volksparteien bei etwas über 30 Prozent war für die Union seit Jahren derart ungewohnt, dass er jetzt Anhänger und Funktionäre verstört. Dazu kommt stiller Zweifel, ob die CDU-Chefin eigentlich Wahlkampf kann. Ihr erster 2005 endete fast im Desaster, die beiden nächsten gewann sie aus überlegener Position durch Stillhalten. Wie eine Merkel im Kampfmodus aussehen könnte, fällt auch langjährigen Wegbegleitern schwer zu sagen. Zumal es gerade unter den Erfahrenen als ausgemacht gilt, dass ein starker Wandel im Auftreten ein grober Fehler wäre. „Merkel muss authentisch sie selbst bleiben“, sagt einer, der lange Verantwortung für Wahlkämpfe hatte. Eine Kanzlerin, die plötzlich die Rampensau gäbe, erschiene bloß als bemühtes Schulz-Imitat.

Andererseits ist auch Merkel klar, dass sie diesmal weit mehr als 2009 und 2013 auf eine motivierte Basis angewiesen ist. Schon der Aufschwung der AfD hatte im Adenauer-Haus die Sorge ausgelöst, dass die von Wohlfühl-Kampagnen verwöhnten CDU-Wahlkämpfer gar nicht mehr wissen, wie man sich auf Marktplätzen gegen Gegenwind behauptet. Bald könnte sich zur AfD von rechts eine fröhlich grinsende SPD von links gesellen.

Bisher kein Schulz-Effekt im hohen Norden

Da ist also Emotion gefragt. Intern haben Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer dieses Bedürfnis in letzter Zeit schon mal bedient. Bei den letzten Fraktionssitzungen in Berlin präsentierte sich das Parteichefduo entspannt und gut gelaunt und in betontem Gegensatz zum Finstere-Mienen-Bild vom „Versöhnungsgipfel“ der Unionsspitzen in München. Aber das fand nun mal hinter verschlossenen Türen im Reichstag statt.

Man darf also gespannt sein in Stralsund auf die Listenkandidatin Nummer eins. Dies um so mehr, als in Mecklenburg-Vorpommern bisher die Regel galt, dass seine Bürger bei Bundestagswahlen völlig anders abstimmten als bei der Landtagswahl: Die SPD fiel 2013 dort mit nicht mal 18 Prozent noch hinter die Linke zurück. Umfragen mit „Schulz-Effekt“ liegen nicht vor. Aber jeder geht davon aus, dass er auch im Nordosten eingetreten ist und der SPD-Spitzenkandidatin hilft, der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig .

Und vielleicht bremst er als Nebeneffekt auch dort zugleich einen anderen Höhenflug. Die AfD verliert in allen Umfragen Wählerprozente an die Schulz-SPD. Bei der Landtagswahl im Nordosten 2016 wurde sie mit knapp 21 Prozent zweitstärkste Partei im Landtag. Inzwischen strebt ihr Landeschef Leif-Erik Holm in den Bundestag. Holm kandidiert gegen Merkel direkt in ihrem Wahlkreis, der Stralsund und Rügen umfasst, und ist um große Worte nicht verlegen: „Politisch vertreiben“ aus ihrem angestammten Revier wolle er die Kanzlerin.

Das dürfte selbst ohne Schulz-Delle schwierig werden. Merkel hat ihr Mandat als Abgeordnete seit 1990 stets direkt errungen, zuletzt mit 56,2 Prozent. Aber dem früheren Rundfunkmoderator ist damit jedenfalls Aufmerksamkeit sicher. Sicherer erscheint auch Holm indes der Listenplatz Nummer eins seiner Landespartei. Auf den soll die AfD ihn – von wegen Aufmerksamkeit – am Sonntag setzen.

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