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Politik: Eine Zäsur findet statt

Von Tissy Bruns

Das erzwungene Zweckbündnis verändert die SPD; das zeigen schon die Abschiede. Gerhard Schröder geht nun auch als Kanzler. Franz Müntefering, der als Parteivorsitzender dem Credo folgte, die SPD müsse regieren wollen, wird das nun als Vizekanzler einer großen Koalition beweisen. Dass die der SPD womöglich eine bessere Plattform bietet als Rot-Grün, um den unvermeidlichen Umbau des alten bundesdeutschen Sozialstaats zu meistern, das hat sich schon auf dem kurzen Weg zum Koalitionsvertrag gezeigt. Die Partei verlor unfreiwillig ihren Vorsitzenden und wird mit Matthias Platzeck von einem geführt, der zur nächsten Generation gehört. Die Zeit der Enkel Willy Brandts ist unwiderruflich vorbei. Schon allein deshalb ist Karlsruhe eine Zäsur in der Geschichte der SPD.

Platzeck wird die SPD anders führen müssen, weil ihm die Mittel seiner Vorgänger nicht zur Verfügung stehen. Die konnten in jeder Hinsicht aus dem Vollen schöpfen. Der Sozialstaat wuchs noch und die SPD auch, als Engholm, Scharping, Lafontaine, Schröder, Müntefering politisch sozialisiert wurden. Ähnlich verschwenderisch wie die Bundesrepublik ihrer Lehrjahre war auch ihr Umgang mit der SPD, als es darum ging, die Antworten für ihre Zeit zu finden. Keine SPD-Generation hat so viel Personal verschlissen und dabei so wenig geistige Nahrung geliefert wie die theorieverliebten Jusos aus den 70er Jahren. Schröders Kanzlerschaft war der Versuch, die SPD ausschließlich durch Regierungshandeln – und oft genug durch Machtworte – in Bewegung zu setzen. Nicht ohne Wirkung, siehe Militäreinsätze. Aber zu hohen Kosten: Die Zustimmung zur Reform-Agenda blieb widerwillig, führte in schwere Niederlagen, zu Schröders Verzicht auf den Parteivorsitz, zur Erosion des Einflusses in den Ländern und zur vorzeitigen Neuwahl.

Am Ende passte auch der ungewollte Abschied vom Parteivorsitzenden Müntefering zu diesem Weg. Denn der Preis dafür, dass die SPD unvorbereitet in den Reformkurs hineingestolpert ist, war der Verlust an innerer Demokratie. Über die Neuwahlen haben zwei Spitzengenossen entschieden – ohne eine bessere Alternative zu haben. Mit Schröders Rückzug sah sich die SPD vor der Gefahr, an einer ganz kurzen Leine geführt zu werden.

Aber es war eben auch Schröder, der größte Programmverächter seiner Generation, der die SPD unwiderruflich an die Ufer von Reform und Selbstreformierung geführt hat. Er hat erstens die Reformen in Deutschland begonnen und zweitens den Platz der SPD in einer großen Koalition erkämpft – und damit in der Verantwortung für die Fortsetzung dieser Reformen. Schröders Vermächtnis: Platzecks SPD bleibt nichts anderes mehr übrig, als die Reform des Sozialstaats zu ihrem eigenen, zum sozialdemokratischen Projekt zu machen. Wie lässt er sich denn zügeln, der globalisierte Kapitalismus? Was ist gerecht in Zeiten der demografischen Revolution, was kann der Staat, was können die Bürger? Wenn die SPD weiter nur pragmatisch aus den Zwängen leerer Kassen antwortet, droht ihr die Zermürbung zwischen Regierungsverantwortung und Linkspartei. Auch deshalb ist Karlsruhe eine Zäsur: Der Reformweg ist unumkehrbar geworden, auch wenn sich die Delegierten der großen Koalition mit leisem Grimmen nähern – ein Regierungsbündnis muss schließlich keine Partei begeistern.

Auf die „sozialdemokratische Handschrift“ indes, die gestern von einigen Delegierten angemahnt wurde, kann die SPD in der großen Koalition tatsächlich weniger verzichten als im rot-grünen Bündnis. Sie muss sich dabei von der Vorstellung lösen, die das Mehr oder Weniger sozialer Leistungen zum wichtigsten Maßstab der Gerechtigkeit macht. Und dabei wissen, dass die Suche nach einer erneuerten SPD kein Vorwand sein darf für die Flucht aus der Regierungsverantwortung. Platzeck kann darauf bauen, dass die Jüngeren in der SPD das viel stärker verinnerlicht haben, als Schröder und Müntefering ihnen zugestehen mochten. Die SPD braucht wirklich ein neues Godesberg. Schließlich kann nur eine Partei, die sich selbst verändert, auch das Land verändern.

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