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Politik: Einer wie die andere

WOCHE DER REFORMEN

Von StephanAndreas Casdorff

Die SPD jubelt. Einen besseren Gefallen konnte Angela Merkel ihnen doch nicht tun, finden die Genossen, diesmal unisono. Die CDU-Chefin und ihre Vorstellungen von der Umgestaltung der Sozialsysteme – sie einen die Regierungspartei vor einer schwierigen Woche im Bundestag und einer schwer zu bestehenden Kommunalwahl in Brandenburg am 26. Oktober. Der dortige Landesvize Gunter Fritsch hämt, der CDU sei Schlechteres eingefallen als der SPD, der Generalsekretär im Bund, Olaf Scholz, unkt, Merkel führe die Union mit ihren extrem marktliberalen Positionen auf einen Weg wie die englischen Konservativen, die „Tories“. Die drohen in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Die CDU wie die Tories? Da erscheint die nächste Woche in einem ganz anderen Licht.

So viel Populismus und so wenig Auseinandersetzung hat Merkel nicht verdient. Denn der Umgang mit dem zugleich traditionellen und modernen Thema, wie Deutschland auch in 30 Jahren noch ein Sozialstaat sein kann, entzieht sich zunehmend den ideologischen Denkmustern. Alle Parteien debattieren nicht nur dasselbe Thema, sondern in dieselbe Richtung. Wie gelingt die Wende zum Weniger? Wer die Diskussion der vergangenen Woche verfolgt hat, wird bestätigen: Quer durch alle Parteien wird die Antwort gesucht. Und hier verschiebt sich ein gesellschaftliches Klima, wobei diese Verschiebung eher unterhalb der Parteigrenzen zu finden ist, in den verschiedenen Interessengruppen, die miteinander über den richtigen Weg streiten. Hochpolitisch bleibt das dennoch allemal.

Norbert Blüm und Heiner Geißler machen öffentlich Wirbel, aber sie laufen gegen eine Wand von Veränderungswilligkeit. Die Partei soll keine Ersatz-SPD sein, keine Retorten-CDU. Das Grundgefühl der Basis ist konservativ im Sinne von Lampedusa: Wir müssen alles verändern, wenn wir bewahren wollen. Merkel sagt auf den Regionalkonferenzen unter Beifall: Was wir alles bewahren wollen, müssen wir jetzt definieren, ehrlich, hart und kritisch. Klingt das auch nach Maggie Thatcher, ist es doch vor allem deshalb hochpolitisch, weil der Sozialdemokrat Schröder zwar moderater spricht, aber spiegelbildlich verfährt. Damit werben beide in einer breiten Schicht der Bevölkerung um Zustimmung, die beide großen Volksparteien zu wählen imstande ist.

„Politik hat popularisierte Aufklärung zu sein, muss Bewusstseinsbildung betreiben“, hat Bodo Hombach geschrieben, der für Gerhard Schröder vor der Amtsübernahme als Kanzler den Begriff der Neuen Mitte besetzte. Zur Aufklärung gehört, dass die Kritiker des Status quo oder der ersten Reformversuche in unseren Sozialsystemen nicht prinzipienlos sind und eben gerade nicht zeitgeistig. Solche Kritik schürt aus billigen Gründen einen Konflikt, der von beiden Seiten, von Schröder und Merkel, mit den Sozialkonservativen aller Schattierungen unausweichlich geführt werden muss. Mit denen, die einseitig angeblich unantastbare Traditionen überbetonen und damit politische Positionen tabuisieren und Kritiker herabsetzen – was in der Folge dem Staat seine notwendigen Veränderungsmöglichkeiten nimmt. Wenn es dazu käme, wäre das in beiderlei Hinsicht verderblich, in konservativer wie progressiver. Denn nicht ob, sondern wie viel verändert werden muss, ist allein noch die Frage. Dieses Bewusstsein bildet sich gerade.

Konkret geht es um ein dynamisches Gleichgewicht zwischen dem Wachstum der Wirtschaft und den Erfordernissen der sozialen Sicherheit und Stabilität. Und es geht um das Funktionieren der Wirtschaft als Voraussetzung für den Sozialstaat. Im Dilemma von „Bewahren“ und „Verändern“ zeigt sich das grundsätzliche Zusammenwirken von Konservativismus und Progressivität: Gemacht wird eine Politik, die ihre Rechtfertigung von links nimmt und die Lösung rechts sucht. Gesucht wird eine Politik mit dem rechten Maß.

Diese Woche wird von Montag an zeigen, wo beide Seiten die Grenzen ziehen, sich und anderen – und wer stärker ist, Schröder oder Merkel, die Ziele für das soziale Ganze zu setzen. Im Moment verliert sich viel im Detail. Die SPD jubelt zu früh. Die Union auch. Der Kampf um die Mitte beginnt jetzt erst richtig.

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