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Politik: Einig im Zweifel

Grüne und Union rechnen nicht mehr mit einem Kompromiss zum Zuwanderungsgesetz. Nur Schily setzt darauf

Von Albert Funk

und Robert von Rimscha

Die Grünen wollen einem parteiübergreifenden Zuwanderungsgesetz eine allerletzte Chance geben. Sie richten sich aber darauf ein, dass sie ungenutzt bleibt. Der kleine Parteitag beschloss am Samstag in Berlin, dass sich die Grünen hinter die Regierungslinie stellen. Diese war am Freitagabend in einer Koalitionsrunde festgezurrt worden und sieht vor, dass Kanzler Gerhard Schröder mit der Union bis Ende Mai Einigungsmöglichkeiten sondiert und der Union damit eine letzte Chance gegeben wird. Alle Spitzengrünen, die am Samstag auftraten, machten aber dreierlei deutlich: Dass sie kaum mehr eine Chance für das Zustandekommen des Gesetzes sehen, dass die Schuld hieran allein bei der Union liege und dass eben dieser Umstand zu einem zentralen Argument im grünen Europawahlkampf werden soll.

Parteichefin Angelika Beer sagte, sie sehe die Einigungschancen „sehr skeptisch“. Es müsse „Schluss sein mit diesen Scheinverhandlungen“. Ein Zurück in den Vermittlungsausschuss, wo 67 Stunden lang gestritten wurde, werde es nicht geben. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt rief dem Parteitag zu: „Wir sollten uns nicht nachsagen und vorwerfen lassen, das Zuwanderungsgesetz sei an uns gescheitert.“ Die Integrationsbeauftragte Marieluise Beck sagte: „Es war richtig, diese Quälerei mit einem Paukenschlag zu beenden.“ Volker Beck, parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer und Chefverhandler der Zuwanderung, sagte: „Die Sache ist ausgereizt.“ Die Grünen legten ihre Hände aber nicht tatenlos in den Schoß, sondern verabschiedeten nach dem erwarteten Nein der Union zum Ultimatum von Rot-Grün die nicht zustimmungspflichtigen Teile des Gesetzes allein. Und diese Teile seien noch immer ein enormer Fortschritt.

Umweltminister Jürgen Trittin warf CDU- Chefin Angela Merkel vor, sie führe „einen schmutzigen Wahlkampf auf Kosten der Einwanderer“. Beer sagte, die Union wolle mit ihrem „Ausländer-raus-Gesetz“ den Rechtsstaat aushöhlen. Ex-Parteichefin Claudia Roth sagte, der Unions-Widerstand gegen vernünftige Einwanderung gefährde den Standort Deutschland. Merkel missbrauche die Ängste der Bürger und instrumentalisiere den Terror von Madrid, um das Zuwanderungsgesetz scheitern zu lassen.

Merkel beharrte beim Wahlkampfauftakt ihrer Partei in Saarbrücken auf den CDU-Forderungen zur Terrorabwehr. Ausländer, die nach juristischen Kriterien ausgewiesen werden müssten, aber wegen Folterdrohungen nicht in ihre Heimat abgeschoben werden können, dürften „auch in Deutschland nicht frei herumlaufen“. Merkel und der CDU-Verhandlungsführer, Saarlands Ministerpräsident Peter Müller, bekannten sich zwar zur Notwendigkeit geregelter Zuwanderung. Angesichts der Terror-Bedrohung müsse im Gesetz aber auch geregelt sein, wie mit Menschen umzugehen sei, von denen möglicherweise eine Bedrohung ausgehe. Mit Blick auf die geplanten Sondierungsgespräche mit Schröder sagte Müller: „Ein Unterhändler, der kommt, muss auch ein Angebot machen.“

Rita Süssmuth (CDU) forderte alle Beteiligten zur Kompromissbereitschaft auf. „Man muss klar sagen: Es geht bei Migration und Integration um mehr als nur einen Minimalkonsens“, sagte sie dem Tagesspiegel am Sonntag. Sie begrüßte das Angebot des Kanzlers, ein Sondierungsgespräch zu führen. „Jede Anstrengung, die Parteien wieder zusammenzubringen, ist sinnvoll. Wir müssen den breiten Konsens auch in den Parteien erreichen, wie er in der Gesellschaft in der Frage der Zuwanderung besteht.“ Nun müsse generell gelten: „Es kann nicht nur einer nachgeben, es müssen alle aufeinander zugehen.“ Die Grünen hätten schon erhebliche Abstriche gemacht, sagte Süssmuth. Eine fatale Botschaft wäre, wenn die Bemühungen zur Integration von Zuwanderern abbrächen. Das Zusammenleben zwischen Deutschen und Migranten sei von entscheidender Bedeutung. Süssmuth saß von 2000 bis 2001 der Zuwanderungskommission der Bundesregierung vor.

CSU-Chef Edmund Stoiber sagte bei einem kleinen Parteitag seiner Partei in Nürnberg: „Mit der SPD wären wir sehr schnell bei einer Lösung, mit Grün wird das wohl nicht gehen.“ Die CSU werde keinem Zuwanderungsrecht zustimmen, das nicht die Mindestanforderungen für den Schutz der eigenen Bevölkerung erfülle. Stoiber sagte mit Blick auf das Gespräch mit dem Kanzler: „Dann ist die Veranstaltung zu Ende.“ Auch der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) sieht kaum noch Einigungschancen, „denn die Grünen haben sich ja nicht in der Sache bewegt“.

Dagegen zeigte sich Innenminister Otto Schily (SPD) weiter optimistisch. Dem Sender N24 sagte er: „Die Möglichkeiten, jetzt zu einem Kompromiss zu kommen, sind so gut wie nie.“ Und in der „Bild am Sonntag“ appellierte er an die Verantwortung aller Parteien: „Lasst uns all das beschließen, über das wir uns einigen können.“ Nicht die Frage nach taktischen Vorteilen für die Partei dürfe im Vordergrund stehen, sondern das, was man für die Menschen erreichen könne. Falls Union und Grüne „weitergehende Vorschläge“ hätten, könnten sie „diese ja außerhalb des Vermittlungsverfahrens weiter verfolgen“.

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