zum Hauptinhalt

Politik: Einigkeit und Recht und Länder

Von Hermann Rudolph

Wird die Bundesrepublik zum Staatenbund – ein Bundesstaat ohne Bund sozusagen? Oder, umgekehrt, zu einem Bundesstaat mit noch mehr Bund als bisher? Mit den Vorstellungen, die die Länder in der Föderalismuskommission durchsetzen wollen, „kann man Deutschland nicht regieren“, hat der Bundeskanzler schroff erklärt. Verbraucherministerin Künast sattelte noch eins drauf: Die Bundesrepublik brauche mehr zentrale Regelungen, etwa im Umweltschutz. Dagegen der bayerische Ministerpräsident Stoiber, nicht minder hart: Nur mehr Rechte für die Länder sind Reform. Droht die Kommission im Schlagabtausch der Maximalforderungen zu scheitern? Oder befindet sich das Unternehmen, das heute zu seiner vorletzten Sitzung zusammentritt, nur in jener Endphase, in der alle mit höchstem Einsatz spielen?

Vermutlich zeigt die Auseinandersetzung vor allem, dass die Kommission quietschend in die Schlusskurve biegt. Aber sie markiert auch, um was es geht: nicht nur um eins der üblichen Räuber und-Gendarm-Spiele der politischen Klasse um Einflüsse und Zuständigkeiten, sondern um einen Umbau des politischen Gefüges, der alle Bürger betrifft. Sollen die Länder mehr allein entscheiden – über Sozialhilfe, Beamtengehälter und Schulwesen? Brauchen wir weiter die starke, zusammenhaltende Hand des Bundes, damit die Republik nicht auseinander fliegt? Kurz: Die Kommission ist beim Eingemachten angekommen – dem Verhältnis von Ländern und Bund, von Eigenständigkeit und Einheitlichkeit.

Dass dieses Verhältnis aus dem Gleichgewicht geraten ist, stand am Anfang ihrer Arbeit. Ebenso, dass der Föderalismus zunehmend zum Ärgernis geworden ist. Deshalb wollen eigentlich alle die Reform: mehr Klarheit im Bund-Länder- Verhältnis, mehr Freiräume für verantwortliches Handeln, mehr Wettbewerb. Aber wollen wir auch, was daraus folgt: unterschiedlich ausgestattete Hochschulen, andere Umweltstandards in Bayern und Bremen, differierende Schulsysteme? Oder besser: Wie viel davon ertragen wir? Die Irritationen, die der Bundespräsident mit seinen Äußerungen über unterschiedliche Lebensverhältnisse ausgelöst hat, zeigen, dass die Grenzen dafür eng sind.

Für den Schönwetter-Föderalismus – Oktoberfest, Dialekt und regionale Küche – sind ja alle. Aber wenn es ernst wird mit den Unterschieden zwischen den Ländern, flüchten wir uns in Umverteilung und Ausgleichssysteme. Allerdings gibt es auch gute Gründe dafür, dass die Bundesrepublik ein, wie die Staatsrechtler sagen, unitarischer Bundesstaat ist, also: ein Bundesstaat mit ziemlich viel einigenden Verstrebungen. Sie ist ein gewachsener gemeinsamer Lebensraum. Sie kann sich Unterschiede leisten, mehr als bisher gewohnt, aber – um ihrer Leistungskraft willen – nicht 16 Hochschulsysteme, Umweltstandards und Beamtenrechte. Sie kann ihr Gewicht in Europa, in einer globalisierten Welt auch nicht als Stimmengewirr geltend machen, sondern nur, wenn sie mit einer Stimme spricht.

Irgendwo dazwischen muss die Kommission ihre Lösungen platzieren. Natürlich ist es eine Quadratur des Kreises, die sie zu bewältigen hat – unter dem ist ein Bundesstaat nicht zu haben. Dabei kann an der Notwendigkeit, das Verhältnis von Bund und Ländern zu entzerren und neu zu justieren, kein Zweifel sein. Da sind viele bürokratische Verknotungen aufzulösen. Das ermöglicht den Wettbewerb, den unser politisches System braucht. Aber der taugt nicht für alles. Die Bundesrepublik kann auf ein beträchtliches Maß gemeinschaftlicher Regelungen nicht verzichten. Wer annimmt, sie könne weitgehend als eine lockere Vereinigung von Ländern existieren – mit einem Bund, der nur für Sicherheit, Steuern und ein bisschen Außenpolitik sorgt –, lügt sich in die Tasche.

Ein Bundesstaat wie die Bundesrepublik braucht Bund und Länder, die konkurrieren und kooperieren. Und die Einsicht, dass Föderalismus keine Veranstaltung der Länder gegen den Bund ist, sondern der Inbegriff ihres Zusammenwirkens.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false