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Politik: Einmal Dritte Welt und zurück

Johannesburg, die Gastgeberin des Weltgipfels, ist schillernd, gefährlich – und die modernste Stadt in Afrika

Von Wolfgang Drechsler,

Kapstadt

Erst kommen die glitzernden Konsumtempel in Sandton, dem reichsten Vorort von Johannesburg. Von den Decken schauen Fresko-Imitationen aus Michelangelos Sixtinischer Kapelle auf die Kauflustigen hinab. Dazu Luxushotels und protzige Firmensitze: Sie erheben sich über lauschigen Vororten mit purpurnen Bougainvillen, Tennisplätzen und Swimmingpools, in denen sich der (fast) immer blaue Himmel spiegelt. Die Wirtschaftshauptstadt Südafrikas im winterlichen Sonnenschein – zauberhaft, ein heiles Land vorgaukelnd.

Und dann das blanke Elend, das andere Afrika – nur zwei Kilometer entfernt. Ein Meer von Wellblechhütten, Müll, Krankheit und Gewalt. Fast eine halbe Million Menschen, zusammengepfercht auf nur drei Quadratkilometern. Ganze acht Ampelkreuzungen trennen Sandton von Alexandra, einem alten Township. Seine Kulisse wird nicht von Glas und Prunk, sondern dem hässlichen Beton der Männerwohnheime dominiert – einem Relikt aus Apartheid-Zeiten, als die schwarze Bevölkerung ein billiges Arbeitsreservoir bildete. Ein endloser Strom von Lastentaxis ergießt sich Tag für Tag von hier in die reichen Vororte. Doch zu einem direkten Zusammenstoß der unterschiedlichen Welten kommt es erst 20 Kilometer weiter südlich – im alten Stadtzentrum von Johannesburg.

Die extremen Gegensätze der modernsten Stadt in Afrika dürften viele der 40 000 Delegierten überfordern, die sich hier in den nächsten zehn Tagen zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung treffen. Es sind unvermittelte Sprünge von der Ersten in die Dritte Welt – und gleich wieder zurück. Viele Besucher werden sich wie Wanderer fühlen, die in Charlottenburg oder Manhattan losmarschieren und sich plötzlich in den Favelas von Rio wiederfinden.

Johannesburg, eine Stadt mit einem denkbar schlechten Image, erlebte seinen radikalsten Wandel vor 15 Jahren , als die letzten Gesetze der Wohn-Apartheid fielen. Fortan waren die Schwarzen, die zuvor verborgen im Schatten der schlanken Glaspaläste lebten, nicht mehr nur Zaungäste. In vieler Hinsicht spiegelt der Umbruch von Johannesburg genau die Veränderungen wider, die Südafrika bei seinem mühseligen Übergang von der Apartheid zu einer nicht rassistischen Demokratie durchläuft.

Trotz ihrer Anpassungsfähigkeit hat Johannesburg wie keine andere Stadt im Land unter den politischen Veränderungen in der Post-Apartheid-Zeit gelitten. Die letzten Jahre waren von einer beispiellosen Kriminalitätswelle geprägt, die sie international schwer in Misskredit gebracht hat. Ihre Wahrnehmung als Kapitale von Mord und Totschlag ist jedoch auf ein Stereotyp verengt, das der Lebenswirklichkeit nicht immer gerecht wird. Dennoch wird kaum jemand bestreiten, dass die Gewalt beunruhigende Dimensionen angenommen hat. Wenige Stunden vor Eröffnung des Weltgipfels wurden am Montag zwei Schweizer Delegierte in ihrem Hotel überfallen: Ein bewaffneter Räuber klopfte an der Tür einer Delegierten und gab einen Schuss ab, als sie öffnete. Die Frau wurde nicht verletzt, stand aber unter Schock. Zuvor hatte sich in einem anderen Zimmer ein ähnlicher Vorfall abgespielt.

Die Menschen in Johannesburg sind an die alltägliche Gewalt gewöhnt. Mit dem Rückzug der Bewohner hinter Mauern und Stacheldraht ist es zu einem Boom der Sicherheitsindustrie gekommen. Um die Teilnehmer des Weltgipfels und die über 100 Staatsoberhäupter und Regierungschefs zu schützen, bietet die Stadt 8000 zusätzliche Polizisten auf. Südafrikas Oppositionschef Tony Leon kommt deshalb auch zu dem Schluss: „Johannesburg dürfte zurzeit zu den sichersten Plätzen der Welt gehören."

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