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© dpa

Einmarsch: Der Anfang vom Ende der Sowjetunion

Vor dreißig Jahren marschierte die Rote Armee in Afghanistan ein – und erlebte ein Fiasko.

Eine Million Tote und neun Millionen Kriegsflüchtlinge auf afghanischer Seite. Dazu kommen mehr als 14 000 gefallene Sowjetsoldaten, 270 weitere werden bis heute vermisst. Die Zahl der Kriegsversehrten beläuft sich auf mehrere Hunderttausend. Vor allem aber war Moskaus Afghanistan-Krieg, der vor dreißig Jahren begann, der Anfang vom Ende der Sowjetunion. Die Mehrheit der Russen ist davon jedenfalls felsenfest überzeugt.

In der Tat hatte der Preisverfall für Öl und Gas auf den Weltmärkten tiefe Löcher in Moskaus Kriegskasse gerissen. Schon allein deshalb versprach Michail Gorbatschow gleich nach seiner Wahl zum Parteichef 1986, das Afghanistan-Abenteuer rasch zu beenden. Zumal der Westen sich dafür mit internationaler Isolierung – darunter dem Boykott der Olympischen Sommerspiele 1980 – rächte und die USA Moskau eine neue Runde im Wettrüsten aufzwangen. Vor allem dadurch gingen Kommandowirtschaft und Unterdrückungsstaat 1991 in die Knie.

Mit Rivalitäten beider Großmächte erklären KGB-Veteranen auch Moskaus Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979. Damit sei man den USA, die kurz zuvor durch die Islamische Revolution in Iran ihre Basen im Mittleren Osten verloren, nur knapp zuvorgekommen. Mit diesem Argument soll der sowjetische Geheimdienst den damaligen Parteichef Leonid Breschnew überzeugt haben, den Einmarschbefehl zu unterzeichnen. 7000 Elitesoldaten einer Luftlandedivision besetzten daraufhin in der Nacht vom 25. zum 26. Dezember den Flughafen von Kabul und andere „strategische Objekte“ der afghanischen Hauptstadt. Tags darauf rollten die ersten Panzer über den Grenzfluss Amu Darja nach Süden. Gut neuen Jahre später die letzten in umgekehrter Richtung.

Offizieller Vorwand für den Einmarsch war ein Hilferuf des pro-sowjetischen Flügels einer sonst eher maoistischen Regierung, die sich im April 1978 in Kabul an die Macht geputscht hatte. Diese Gruppe sollte aus Afghanistan ein sozialistisches Musterländle nach Moskauer Vorbild machen und sowjetische Interessen in der gesamten Region durchsetzen. Beides scheiterte ähnlich ruhmlos wie die Absicht, den zunächst als „Krieg hinter dem Flüsschen“ verharmlosten Feldzug in wenigen Monaten zu beenden. Die Afghanen nahmen die anfangs als Befreier und Ordnungsfaktor begrüßten Sowjetsoldaten zunehmend als Okkupanten wahr: Um seine Marionetten zu stützen, sah Moskau sich gezwungen, in den innerafghanischen Machtkampf einzugreifen. Zwangsläufig häuften sich dadurch auch die Opfer unter der Zivilbevölkerung.

Als Gorbatschow 1986 die Reißleine zog, ging der Feldzug bereits ins neunte Jahr. So, wie inzwischen auch die westliche Anti-Terror-Operation, bei der die Nato und deren Führungsmacht USA sich zunehmend mit den gleichen Problemen konfrontiert sehen wie seinerzeit die UdSSR. Der Export der Demokratie scheiterte so ruhmlos wie der des Sozialismus, heute wie damals diktiert der islamische Widerstand den „Okkupanten“ mehr und mehr das Gesetz des Handelns. Politisch wie militärisch.

Bei Vergleichen kommen die Sowjets inzwischen sogar besser weg. Ihr schlichtes Equipment, so die meisten Afghanen, hätte sie zu Kämpfen Mann gegen Mann gezwungen – die Nato-Soldaten dagegen setzten heute, um Verluste in den eigenen Reihen zu minimieren, auf Technik. Die Folge: unverhältnismäßig viele Opfer unter der Zivilbevölkerung. Das und mangelnde Effizienz beim Wiederaufbau – von den Milliardenhilfen der internationalen Gemeinschaft kommen den Menschen nach russischen Erkenntnissen ganze zwölf Prozent zugute, der Rest fließt in die Taschen korrupter Beamter oder geht für den Schutz der Aufbauhelfer drauf – ist für Experten der Hauptgrund dafür, dass drei Viertel der Bevölkerung mit den Taliban sympathisieren.

Der Westen wäre daher gut beraten, bei einem gemeinsamen Krisenmanagement am Hindukusch, für das Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Russlands Präsidenten Dmitri Medwedew in der vergangenen Woche begeistern wollte, auch auf die Kenntnisse ziviler russischer Experten zurückzugreifen. Sie kennen sich mit Region und Mentalität ihrer Bewohner besser aus als die Kollegen im Westen, haben die Ursachen von Moskaus Niederlage nüchtern analysiert und daraus ihre Schlüsse gezogen. Kooperation mit Russland ist für den Westen daher womöglich die letzte Chance für einen geordneten Rückzug aus Afghanistan.

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