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„Danke, Edward Snowden“: Demonstranten bekunden in Washington ihre Sympathie für den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter. Foto: Mandel Ngan/AFP

© AFP

Politik: Einspruch, Mr. President!

Erstmals hält ein US-Gericht das massenhafte Sammeln von Daten durch die NSA für verfassungswidrig.

Larry Klayman, Gründer der Lobby- Gruppe „Freedom Watch“, ist ein konservativer Aktivist. 2004 hatte er sich in Florida für die Republikaner um einen Platz im Senat beworben. Nun hat Klayman, auch im Namen weiterer Beschwerdeführer, eine Klage gegen die Überwachung amerikanischer Bürger durch den Geheimdienst NSA eingebracht. Richter Richard Leon wiederum, der jetzt am Bundesgericht in Washington in einer vorläufigen Entscheidung diese Überwachung als „fast orwellianisch“ beurteilt, wurde 2002 vom damaligen Präsidenten George W. Bush ins Amt berufen. Beide „Personalien“ zeigen: In den USA sind es nicht mehr nur linke Bürgerrechtsaktivisten und kritische Medien, die nach den Enthüllungen von Edward Snowden einer Ausspähung zumindest der eigenen Bevölkerung Einhalt gebieten wollen.

Die Sammlung und Speicherung aller amerikanischen Telefondaten, urteilte Richter Leon in seiner Erklärung, die in den USA als Ohrfeige für die NSA aufgenommen wurde, verstoße höchstwahrscheinlich gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten. James Madison, vierter Präsident der Vereinigten Staaten und einer der prägendsten geistigen Väter dieser Verfassung, wäre „tief bestürzt“, wenn er miterleben müsste, wie die Regierung in die Freiheitsrechte der Bürger eingreife. Zumal die Regierung nicht glaubhaft habe darstellen können, dass die Überwachungsprogramme Terrorangriffe verhindert hätten.

In seiner 68 Seiten langen Erklärung befindet Leon, die Regierung habe ihre Befugnisse überschritten, die Klage habe ausreichend Aussicht auf Erfolg, und er habe sich deshalb entschieden, eine einstweilige Verfügung gegen die Sammlung der Klägerdaten zu erlassen. Allerdings, heißt es im letzten Satz der Entscheidung, werde er die Verfügung angesichts auf dem Spiel stehender bedeutender nationaler Sicherheitsinteressen nicht in Kraft setzen. Zunächst erwarte er einen Einspruch der Regierung.

Der Richterspruch ist der erste relevante juristische Rückschlag für die NSA und die US-Regierung, seit der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Snowden im Frühjahr die Enthüllungen über die weltumspannenden Ausspähprogramme in Gang gebracht hat. Weitere Klagen vor anderen Bundesgerichten sind anhängig. Sollte die endgültige Entscheidung des Washingtoner Bundesrichters so ausfallen wie seine vorläufige Beurteilung, beträfe sie trotzdem nur die Fälle der jeweiligen Kläger. Die rechtlichen Auswirkungen der Klayman-Klage gegen die USA werden zum Beispiel als eher gering eingeschätzt.

Politisch allerdings kommen die scharfen Worte von Richter Leon zu einem kritischen Zeitpunkt. Noch immer sind im Kongress Gesetze zur Eindämmung der NSA-Überwachung anhängig. Immerhin war ein entsprechender Antrag im Sommer im Repräsentantenhaus nur äußerst knapp gescheitert. Und eine Mehrheit der Amerikaner äußert sich laut Umfragen inzwischen kritisch zur Überwachung. Zudem muss sich Präsident Barack Obama dieser Tage mit den Empfehlungen einer von ihm selbst eingesetzten Kommission beschäftigen, die ihm zahlreiche Reformen für die Überwachungsprogramme empfohlen hat.

Unter anderem findet sich darin der Rat, die Speicherung der Telefondaten nicht bei der NSA zu belassen, sondern in die Hände der Telekommunikationsfirmen oder einer dritten Instanz zu geben. Außerdem werden strengere Kriterien für die Datensammlung empfohlen. Obama muss diese Empfehlungen nun prüfen. Es wird erwartet, dass der Präsident im Januar in einer Rede Reformvorschläge unterbreiten wird.

Der Richterspruch könnte den Druck, zumindest einige Veränderungen vorzunehmen, erhöhen – allerdings dreht sich die Debatte in den USA ausschließlich um die Überwachung der eigenen Staatsbürger. Nach Ansicht des früheren NSA-Direktors Michael Hayden, so zitierte ihn am Dienstag zumindest die US-Zeitung „Politico“, verschiebt die Gerichtsentscheidung die Gewichte zuungunsten der NSA. Das Weiße Haus selbst äußerte sich nicht und verwies auf das Justizministerium. Dort heißt es, man prüfe das Urteil.

Dabei wissen die Experten der NSA noch immer nicht, in welchem Umfang Snowden Informationen aus den Speichern des Geheimdienstes an sich genommen hat. Der Datenspezialist, heißt es, sei zu geschickt vorgegangen, habe seine digitalen Spuren verwischt und die Zugänge anderer Mitarbeiter genutzt. Das Interesse der NSA, Snowden in die USA zu holen und damit die Veröffentlichungen zu stoppen, ist dementsprechend groß. Im Zweifel sogar um den Preis einer Amnestie. Die hat ein hochrangiger NSA-Mann jetzt ins Gespräch gebracht. Davon allerdings will das Weiße Haus nichts wissen. Auch Edward Snowden hat kein Interesse an einer Rückkehr. Ihn zieht es vielmehr nach Brasilien.

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