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Gut bewacht. Polizisten bewachen in Peru das Anwesen des freigelassenen Ex-Präsident Fujimori.

© AFP/Mauricio Pinas

Einträge ins Logbuch: In Peru gibt es Pfeffergas statt Plätzchen

Der Dialog in Gesellschaften ist immer schwerer möglich. Das beobachtet unser Kolumnist auch auf seiner Reise nach Peru.

Jeden Abend spielt ein alter Mann Gitarre im Parque Chabuca Granda – benannt nach der Koryphäe der peruanischen Vals-Musik. Er schlägt die Saiten zu hart an, fasst die Akkorde ungenau, die Stimme kratzt, niemand hört ihm zu. Es stört sich aber auch niemand an ihm. Eine Bank weiter liest ein Mann Isabel Allende, Kopfhörer im Ohr. Auf anderen Bänken küssen sich Pärchen. Ein typisch limenisches Bild: Überall liegen knutschende Pärchen – auf den Verkehrsinseln, unter Laternen. In Miraflores haben sie sogar ein Denkmal bekommen: eine Statue, die ein küssendes Pärchen darstellt.

Davon, dass sich das politische Lima in einer Krise befindet, spüre ich in dem Szeneviertel Barranco wenig. Allein die seit Weihnachten erhöhte Polizeipräsenz könnte ein Verweis darauf sein: zwei uniformierte Männer, die mit ihren Maschinengewehren über den Platz flanieren – ein Bild, das mittlerweile auch in Europa ganz gewöhnlich ist, etwa in Frankreich.

Zu Heiligabend hat Präsident Kuczynski den Ex-Präsidenten, viele sagen „Ex-Diktator“, Alberto Fujimori begnadigt, der wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen in Haft saß. Einen Tag vorher hatte das Parlament darüber abgestimmt, ob der Präsident wegen „moralischer Unfähigkeit“ von seinem Amt enthoben werden sollte. Und nur, weil einige Fujimoristen, allen voran der Sohn des alten Fujimori, Kenji, gegen die Absetzung gestimmt hatten, hatte er sein Amt behalten dürfen. Alles schreit nach einem Deal.

In seiner Verteidigungsrede hatte Kuczynski gesagt, „mein Fehler war es, dass ich geglaubt hatte, mit euch reden zu können“. Damit hat er etwas zum Ausdruck gebracht, was universeller ist als die politische Krise in Peru: Wir scheinen in einer Zeit zu leben, in der das Gegenüber nicht mehr grundsätzlich zugänglich für Argumente ist. Wir verausgaben uns im Versuch zu reden mit denjenigen, die kein Interesse am Dialog haben. Das Lager der Bornierten wächst überall.

Die Demo ist genehmigt, dennoch wird sie angegriffen

Der Widerstand ist groß in Lima, auch wenn das in diesem Augenblick in dem Parque Chabuca Granda nicht so wirkt – die jungen Leute auf der Bank vor mir unterhalten sich womöglich gerade über Fujimori und ihre Ängste über die Zukunft des Landes. Am ersten Weihnachtstag gingen die Menschen zu Tausenden auf die Straße und brüllten Parolen, wie: el indulto es un insulto, die Begnadigung ist eine Beleidigung. All diese Menschen hatten die familiären Weihnachtsfeierlichkeiten verlassen – auch in Peru ist Weihnachten ein wichtiges Familienfest – und waren zum Demonstrieren gekommen: Pfeffergas statt Plätzchen.

Es gab Festnahmen und Verletzte. Gleich drei Tage später fand die nächste Demonstration statt. Viele junge Leute, die weder den bewaffneten Konflikt noch das Fujimori-Regime bewusst wahrgenommen haben. Sie riefen: „Wir sind Studenten, keine Terroristen.“ Sie demonstrierten (legal!) gegen die Begnadigung Fujimoris und auch gegen den amtierenden Präsidenten. Ich sah diese jungen Leute und dachte, nein, Terroristen müssten anders aussehen, diese hier konnte ich mir viel besser beim Lernen als bei Straßenschlachten vorstellen. Und dann fielen Schüsse. Und wenig später brannte das Pfeffergas im Hals und im Gesicht. Die Polizei hatte Pfeffergas in die Menge geschossen. Es hatte keinen Grund gegeben, das war eine genehmigte Demonstration von friedlichen Studenten. „Hier wie dort“, riefen sie aus, „wir haben keine Angst.“

Der Gitarrist vom Parque Chabuca Granda krächzt, bevor er einpackt, noch Pink Floyds „Another Brick in the Wall“ zu Ende.

Deniz Utlu

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