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Unicef gilt als relativ effizient im Umgang mit Hilfsgeldern. Das Kinderhilfswerk kann auf prominente Helfer zählen. Das Foto zeigt die Sängerin Katy Perry bei einem Besuch in Madagaskar.

© dpa

Entwicklungspolitik: Viel Glaube, wenig Wissen

Entwicklungszusammenarbeit verlasse sich zu häufig auf Annahmen, die nie getestet wurden, kritisieren Ökonomen. Sie fordern rigorose Tests, um zu überprüfen, was effektiv ist.

Ist dem Menschen eine Sache mehr wert, wenn er dafür bezahlt hat? Das mag nach einer theoretischen Frage klingen, aber die richtige Antwort darauf könnte helfen, hunderttausende Leben zu retten.

Mehr als eine halbe Million Menschen sterben jedes Jahr an Malaria, die meisten von ihnen sind kleine Kinder in Afrika. Ein Mittel im Kampf gegen die Krankheit sind Bettnetze, die mit einem Insektizid imprägniert sind. Schlafen Kinder unter so einem Netz, sind sie vor der Anophelesmücke sicher, die den Malariaerreger überträgt.

Doch wie sollten internationale Hilfsorganisationen vorgehen, damit möglichst viele Menschen die Netze nutzen? Sie einfach verschenken? Oder doch lieber einen Dollar oder zwei dafür verlangen, damit der Mückenschutz nicht als Fischnetz oder Hochzeitsschleier endet? Der Gedanke: Wenn Menschen für etwas gezahlt haben, fühlen sie sich eher verpflichtet, es auch zu nutzen.

Einige Ökonomen des Abdul Latif Jameel Poverty Action Labs (JPAL) am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge in den USA haben etwas sehr Ungewöhnliches getan: Sie haben das in einem Experiment getestet. In Kenia verteilten sie an einer Reihe von Kliniken Bettnetze an schwangere Frauen. Nach dem Zufallsprinzip erhielten die Frauen Gutscheine, die ihnen erlaubten das Netz für einen reduzierten Preis zu kaufen oder umsonst mitzunehmen. Später überprüften die Forscher dann, was mit den Bettnetzen geschah. Das Ergebnis: Der Anteil der Frauen, die das Bettnetz nutzten, blieb ungefähr gleich, egal, ob sie es umsonst erhielten oder dafür zahlten. Mussten die Frauen aber 60 Cent für das Bettnetz zahlen, so entschieden sich fast zwei Drittel weniger es mitzunehmen, als wenn sie es umsonst erhielten. „Alles was Sie tun, wenn Sie Geld für die Bettnetze verlangen, ist dass Sie weniger Bettnetze unter die Menschen bringen“, sagt JPAL-Direktorin Rachel Glennerster.

Das mag nicht nach einer großen Einsicht klingen, doch bisher hatten Hilfsorganisationen die Bettnetze in Kenia sogar für 75 Cent verkauft. Der Studie zufolge würden drei Mal so viele Menschen unter den Netzen schlafen, wären sie umsonst. „Es ist sehr verlockend sich auf seine Intuition zu verlassen“, sagt Glennerster. Doch häufig erweise sie sich eben als falsch.

Glennerster und ihre Mitstreiterinnen am JPAL fordern deshalb, dass sich Politiker und Helfer nicht länger auf Glauben und Gefühle stützen. Sie vergleichen den Zustand der Entwicklungshilfe heute gerne mit dem der Medizin im Mittelalter: Aderlass und Schröpfen würden heute nicht mehr praktiziert, weil sie abgelöst wurden, durch Methoden deren Nutzen in randomisierten, klinischen Tests nachgewiesen wurden: vergleichende Studien, bei denen Patienten nach dem Zufallsprinzip ein Medikament oder eine Zuckerpille erhalten. Die Botschaft der JPAL-Ökonomen: Dieselbe Form von rigorosen, randomisierten Studien wird auch in der Entwicklungszusammenarbeit benötigt. Und tatsächlich haben die Forscher mit ihren Experimenten einen Trend begründet.

Es geht dabei um viel mehr als nur um Bettnetze. Was ist die effektivste Methode, Kinder in armen Ländern an Bildung teilhaben zu lassen? Haben Mikrokredite tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Stellung der Frau in der Familie? Wie bekommt man Eltern am ehesten dazu, ihre Kinder impfen zu lassen? „Das sind Fragen, die bisher in dieser Klarheit nicht gestellt wurden, geschweige denn beantwortet“, sagt Stephan Klingebiel vom Deutschen Institut für Entwicklungshilfe in Bonn.

In einem Experiment in Indien testeten die Ökonomen zum Beispiel Impfstrategien. Dafür losten sie 134 Dörfer in eine von drei Gruppen: Die Eltern konnten ihre Kinder entweder wie gewohnt in einem Gesundheitszentrum in der Nähe impfen lassen, oder es wurde einmal im Monat ein „Impf-Camp“ organisiert, bei dem eine Krankenschwester in das Dorf kam. In der dritten Gruppe von Dörfern gab es diese Camps und als zusätzlichen Anreiz ein Kilo Linsen für Eltern, die ihre Kindern impfen ließen. Während die Impfrate in der ersten Gruppe sechs Prozent betrug, stieg sie in der zweiten Gruppe auf 17 Prozent und in der dritten auf 38 Prozent.

„Diese Ergebnisse sind wichtig, und ich glaube für viele, die in dem Bereich arbeiten, oft auch überraschend“, sagt Klingebiel. Doch die Methode habe ihre Grenzen. So ließen sich die Ergebnisse kaum von einem Land auf andere übertragen und das Ergebnis mancher Entwicklungshilfe lasse sich nicht so leicht messen wie Impfrate oder Bildungserfolg.

Der Gedanke, Entwicklungshilfe unabhängig bewerten zu lassen, gewinnt aber auch in Deutschland an Einfluss. So wurde genau zu diesem Zweck im November das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit in Bonn eröffnet. Seine Aufgabe: unabhängig zu beurteilen, welche Maßnahmen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erfolgreich sind und welche nicht. „Es geht uns darum, aus Fehlern schneller zu lernen und Vorgehensweisen zu ändern, anstatt Programme und Verfahren jahrelang fortzuführen, die nie rigoros geprüft wurden“, sagt Helmut Asche, der das Institut leitet.

Dafür wolle man auch randomisierte Studien nutzen, sagt Asche. In der Praxis sei das aber häufig schwierig. So bewerte das Institut derzeit in einer ersten großen Evaluation, was 30 Jahre deutsche Entwicklungshilfe in Ruanda bewirkt haben: „Dort gibt es drei Distrikte, in denen Deutsche Jahrzehnte tätig waren, aber Sie finden in so einem Land quasi keinen Distrikt, wo niemand tätig war und den sie zum Vergleich heranziehen könnten.“

Bei neuen Vorhaben sei es deshalb wichtig, dass von Anfang an Daten gesammelt werden, die später auch eine Bewertung ermöglichen. Das sei bisher häufig nicht der Fall gewesen. „Am krassesten ist das oft bei Entwicklungshelfern“, sagt Asche. „Deren Einsätze basieren nach dem, was wir bisher wissen, nur selten auf einer exakten Analyse der Ausgangssituation, die später eine Messung des Erfolgs oder Misserfolgs möglich machen würde.“

Eine weitere Hürde ist die mangelnde Transparenz vieler Institutionen. Um den Erfolg von Entwicklungsprojekten zu bewerten, sei es zunächst einmal nötig zu wissen, wohin das Geld fließt, sagt Tobias Kahler, Deutschland-Direktor der Organisation ONE, die sich für die Bekämpfung extremer Armut einsetzt. „Das ist der erste Schritt und da gibt es in Deutschland noch einigen Nachholbedarf.“ Tatsächlich schneiden sowohl die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit wie auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau im internationalen Transparenzranking der Kampagne „Publish What You Fund“ schlecht ab (siehe Grafik rechts).

Die größere Frage aber ist, ob die Politik überhaupt bereit ist, sich von Evidenz leiten zu lassen. So sieht der Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung vor, dass das BMZ ein Drittel des Geldes über multilaterale Institutionen wie den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose oder die Global Alliance for Vaccines Initiative (Gavi) ausgibt. Zwei Drittel des Geldes sind für bilaterale Projekte vorgesehen.

Das sei eine „unsägliche Regel“, ärgert sich Kahler. „Es kann doch nicht sein, dass wir a priori die Mittel derart aufteilen. Das muss sich doch danach richten, was wirkt.“ Tatsächlich schneiden multilaterale Projekte meist sogar besser ab, sagt Klingebiel. „Sie sind schon wegen ihrer Größe häufig effektiver“, sagt der Experte.

In einer Anhörung im Bundestag sei die Regel von keinem der Sachverständigen verteidigt worden, sagt Klingebiel. Er glaubt, dass sie vor allem deswegen noch existiert, weil bilaterale Hilfe den Steuerzahlern im eigenen Land leichter zu vermitteln sei. Doch JPAL-Ökonomin Glennerster glaubt, dass auch hier die Intuition die Politiker trüge: „Man überzeugt Menschen nicht von Entwicklungszusammenarbeit, indem man eine Flagge auf einen Sack Reis druckt, sondern durch effektive Programme.“

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