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Eon trennt sich vom konventionellen Energiegeschäft: Energische Wende

Als erster Großkonzern hat Eon beschlossen, sich aus dem Geschäft mit Kraftwerken zurückzuziehen. Wie kam es dazu?

Es passt ins Bild, dass am Montag der amerikanische Klimaaktivist Bill McKibben und die von ihm gegründete Organisation 350.org in Stockholm mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden sind. McKibben hat eine Kampagne angezettelt, um große Investoren dazu zu bewegen, ihr Geld aus klimaschädlichen Geschäften abzuziehen. Divestment nennt sich das; ein deutsches Wort gibt es noch nicht dafür. Aber Wirkung hat diese Bewegung auch in Europa. Am Mittwoch will der größte europäische Investor, der norwegische Staatsfonds, entscheiden, ob er sein Geld aus der konventionellen Energiewirtschaft abzieht. Dem ist der größte deutsche Energiekonzern Eon nun um ein paar Tage zuvorgekommen. Eon soll künftig sein Geld mit erneuerbaren Energien, dem direkten Kunden- und dem Netzgeschäft verdienen. Atomkraft-, Kohlekraft- und Wasserkraftwerke sowie das Gasförder- und -verteilgeschäft sollen in eine neue Gesellschaft ausgelagert werden.

Warum steuert Eon jetzt um?

Eon-Chef Johannes Teyssen begründete den Kurswechsel am Montag mit den „drastischen Veränderungen der globalen Energiemärkte“. Die Aufgabenteilung sieht Teyssen für Eon im Zukunftsgeschäft. Weltweit werde mehr in erneuerbare Energien investiert als in konventionelle Kraftwerke, sagte er. Die neue Gesellschaft, die noch keinen Namen hat, solle als „solides, unabhängiges Unternehmen“ den „Umbau der Energieversorgung“ absichern. „Beide Ansätze unterscheiden sich so grundlegend voneinander, dass die Fokussierung in zwei getrennten Unternehmen die besten Zukunftsaussichten bietet“, sagte Teyssen.

„Dass es so nicht mehr weitergeht“, sei vielen Mitarbeitern schon seit ein oder zwei Jahren klar gewesen, sagte Carsten Thomsen-Bendixen dem Tagesspiegel. Der Konzernsprecher berichtet, die Stimmung in der Belegschaft sei gut. Er beobachte „ein Aufatmen und sogar in weiten Teilen Aufbruchstimmung“. Seit 2011 hat Eon im operativen Geschäft mehrfach Verluste gemacht. Kraftwerke rechnen sich nicht mehr, das alte Geschäftsmodell bröckelt seit dem zweiten Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland. Ein Jahr lang habe Eon intern über die Neuausrichtung beraten, sagte Teyssen. Externe Strategieberater seien nicht beteiligt gewesen. Thomsen-Bendixen ergänzt, viele hätten keinen „so radikalen Schnitt erwartet“, aber seien froh, „dass etwas passiert“.

Teyssen kündigte rund 4,8 Milliarden Euro Investitionen in das neue Geschäft im kommenden Jahr an. Es sollen weitere Windparks im Meer in Europa und an Land in den USA gebaut werden. Eon betreibt derzeit Windparks mit einer Leistung von 4500 Megawatt. Der Konzern will auch mehr ins Solargeschäft und den Umbau der Stromnetze zu „intelligenten Netzen“ investieren. Damit sollen Bedürfnisse von Kunden, die nicht mehr nur Strom oder Gas kaufen, sondern auch selbst zu Erzeugern werden können, besser bedient werden. Zudem kündigte Teyssen Energieeffizienzlösungen als wichtiges neues Geschäftsfeld an. Damit solche Geschäftsfelder gefunden werden, will Eon sich weiter in Start-up-Unternehmen einkaufen und über seine Gründungsplattform „Agile“ viel versprechende Geschäftsfelder finden und zur Marktreife bringen. „Das folgt einer neuen Logik“, sagt Thomsen-Bendixen.

Gründet Eon eine „Bad Bank“ für die nicht mehr lukrativen Geschäftsfelder?

Das bestreitet Eon. „Es ist noch nicht gesagt, wer in fünf Jahren der erfolgreichere ist – Eon oder die neue Gesellschaft“, sagte Eon-Vorstandschef Johannes Teyssen in Düsseldorf. Zwar übernimmt die neue Gesellschaft die Atomkraftwerke zur Abwicklung, bekommt aber die dafür vorgesehenen Rückstellungen in einer Höhe von 14,5 Milliarden Euro mit in die Bilanz. Bei den Gas- und Kohlekraftwerken gibt Teyssen zu, dass das derzeit eher Verlustbringer seien. Aber in Großbritannien finde gerade die erste Ausschreibung für Versorgungssicherheit statt, Frankreich plane ebenfalls einen Kapazitätsmarkt, und auch in Deutschland rechnet Eon damit, dass die Stromkunden in absehbarer Zeit auch für die Versorgungssicherheit einen Aufschlag bezahlen werden. Die neue Gesellschaft wird von den Schulden befreit, die Eon noch aus der Zeit der großen Expansion im Ausland mit sich herumschleppt. Rund 31 Milliarden Euro sind da noch abzutragen. Das lukrativste Geschäftsfeld neben den „gut laufenden Wasserkraftwerken“ dürften die Gasförderung in Russland und der Betrieb der Nordstream-Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland sein. Dazu gehören Gasspeicher, an denen „niemand vorbeikommt, der die Gasversorgung in Europa sichern will“, sagte Teyssen.

Was halten die Gewerkschaften von der Aufspaltung?

Erstaunlich gelassen fielen die Reaktionen von Verdi und IG BCE aus. Von einem „logischen Schritt“ war die Rede und von einer „strukturellen Antwort“ auf die mit der Energiewende einhergehenden Veränderungen. Für die 60 000 Arbeitnehmer, von denen künftig 40 000 in Eon neu und 20 000 in Eon alt arbeiten, ändert sich erst mal nichts. Bis Ende 2018 sind betriebsbedingte Kündigungen bei Eon ausgeschlossen, beide Gesellschaften werden weiterhin Mitglied in einem Arbeitgeberverband sein und ihre Leute nach Tarif bezahlen. Für Eon alt, also den Konzern mit konventionellen Kraftwerken, fordern die Gewerkschaften einen Kapazitätsmarkt: Es geht dabei um die Bezahlung von konventionellen Reservekraftwerken, die angeworfen werden können, wenn es nicht genügend Strom aus erneuerbaren Quellen gibt. „Wir brauchen einen Markt für gesicherte Leistung, der die Bereithaltung von Kraftwerkskapazitäten angemessen honoriert“, hieß es bei Verdi. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) müsse „schnell einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen“. Das hat Gabriel allerdings nicht vor. Er stellte vergangene Woche klar, dass er von einem solchen neuen Subventionsmarkt wenig hält.

Wie sind die Reaktionen?

An der Börse waren die Reaktionen positiv. Der Kurs der Eon-Aktie stieg am Morgen um sechs Prozentpunkte, flachte dann wieder etwas ab, verbesserte ihren Wert aber über den gesamten Tag um rund vier Prozentpunkte. Wirtschaftsminister Gabriel sagte der „Rheinischen Post“: „Mit seiner Entscheidung stellt sich Eon konsequent auf und zieht als erstes Unternehmen die Konsequenz aus einer sich völlig gewandelten Welt der Energieversorgung. Das schafft durchaus neue Chancen.“ Der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, sagte am Montag: „Das Eon-Management realisiert offensichtlich langsam, dass die Stromproduktion aus Kohle- und Atomkraftwerken ein Geschäftsmodell der Vergangenheit ist.“ Greenpeace sprach von einer „historischen Kehrtwende“. Damit wickele Eon das „Geschäftsmodell Atomkraft und fossile Energien“ ab. Die grüne Energieexpertin Julia Verlinden meinte, die rot-grüne Bundesregierung habe schon im Jahr 2000 mit dem Atomausstieg die Energiewende eingeleitet. „Die großen Energiekonzerne haben diese Zeitenwende viel zu lange ignoriert.“ Doch die meisten Kommentatoren sehen in der Neustrukturierung ein Zeichen dafür, dass Eon ein Teil der Energiewende sein wolle.

Was bedeutet das für den Atomausstieg?

Energieminister Gabriel sagte am Montag, Sorgen, dass Eon sich beim Atomausstieg aus der Verantwortung ziehen könnte, seien unbegründet. Dies sei gesetzlich klar geregelt: „Wir passen auf, dass die Rückstellungen für den Rückbau von Atomkraftwerken und die nukleare Entsorgung gesichert bleibt.“ Dagegen befürchtet die Anti-Akw-Bewegung, dass mit der neuen Gesellschaft eine Art „Energie-Bad-Bank durch die Hintertür“ gegründet werde. Die Umweltverbände und die Grünen verlangten deshalb erneut, die Atomrückstellungen in einem „öffentlich-rechtlichen Fonds“ zu sichern, anstatt sie bei den Atomkonzernen zu belassen. Auch der Bundesrat hatte vor einigen Wochen einen Grundsatzbeschluss gefasst, der eine „Sicherung“ der Rückstellungsmittel im Falle einer Insolvenz zum Ziel hat. Teyssen konterte den Vorstoß mit dem Hinweis darauf, dass der Bundestag jahrelang über die „Rückstellungen als Sparkasse zum Steuersparen“ geklagt habe und erst neuerdings befürchte, dass die Mittel für den Rückbau der Atomkraftwerke nicht reichen könnten. Der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, Wolfram König, sagte dem Tagesspiegel: „Die Finanzierung darf keinen Einfluss auf die Sicherheitsstandards beim Rückbau und der Entsorgung von radioaktiven Abfällen nehmen.“ Die Neuausrichtung von Eon unterstreiche die Notwendigkeit einer „insolvenzsicheren Anlage der zum Teil erst in weiter Zukunft hierfür benötigten Mittel“.

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