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Politik: Er trägt das Kreuz

Von Gerd Appenzeller

Ja, das ist schon ein Gegensatz. Hier die Welt der Schönen und Klugen, der Kraft signalisierenden Porzellangebisse und gebräunten Gesichter, der Firmenlenker, die sich, Feldherren gleich, als CEOs, als Chief Executive Officer, bezeichnen – und dort ein alter Mann. Krank, hinfällig. Manchmal läuft Speichel aus seinem Mund, und seine Stimme versagt. Er kann kaum noch laufen, Parkinson schüttelt seinen Körper. Dass er überhaupt noch lebt, dass er das Krankenhaus wieder verlassen kann, grenzt an ein Wunder.

Und Wunder erwarten die Menschen von ihm auch. Ein krebskrankes Kind bat Johannes Paul II. gestern in der Klinik, es zu segnen und zu heilen. Chef der Deutschen Bank und von General Motors könnte dieser Papst nicht mehr sein, Chef der katholischen Weltkirche offenbar schon, auch wenn Vatikankritiker Hans Küng ihm den Rücktritt nahe legt. Welche Faszination darin liegt.

Eine Institution mit 2000-jähriger Geschichte ist ein sich selbst regelnder Organismus, der seine Funktionsfähigkeit nach anderen Gesetzmäßigkeiten aufrechterhält als eine Autofabrik. Der Papst ist schwer krank und muss zurücktreten – wer sagt das? Küng? Wer ist Hans Küng? Es ist doch alles geregelt, wer den Papst in welcher Funktion wann vertritt. Es gibt kein Entscheidungsvakuum, und selbst, wenn der Heilige Vater zu schwach wäre, die Ernennung eines Bischofs zu verfügen – dann amtierte eben ein Bistumsverweser, bis er wieder gesund ist.

Und wenn er nicht gesund wird? Muss er nicht zurücktreten? Ist das nicht menschenunwürdig, was mit ihm geschieht? Wie er an das Fenster des Gemelli-Krankenhauses gesetzt wird, zu hinfällig, auch nur ein verständliches Wort zu sagen – ist das nicht grausam? Führt da eine kalte Institution aus Gründen des Machterhalts Regie, weil der Papst Papst ist, solange er lebt, auch wenn der Körper längst nicht mehr der Kraft des Geistes gehorcht? Warum zeigt man uns diese Bilder?

Trösten, Hoffnung machen können sie wohl kaum mehr. Aber wir schauen dennoch hin, immer wieder. Die Bilder berühren uns, weil sie ihre eigene Botschaft haben. Wir schauen und nehmen Anteil und leiden mit Johannes Paul II., weil wir in dem katholischen Papst das Symbol des gequälten und sich dennoch nicht aufgebenden Menschen sehen; weil wir mit ihm verbunden sind wie mit einem Spiegelbild unserer selbst. Denn wir wissen, dass auch das die wahre Welt ist, abseits der Sonnenbänke und Fitnessräume, der CEOs und des Supermanngehabes. Wir – ob atheistisch oder gläubig – können mit einem Menschen fühlen, der die Welt verändert hat wie kaum ein anderer. Ob die Sowjetunion zusammengebrochen, der Ostblock verschwunden wäre ohne die Impulse des polnischen Papstes, ohne seine Begeisterungsfähigkeit? Das ist ein Papst aus dem Volk, der sich nicht absolutistisch selbst erhöht hat – auch das gab es in Rom – und der uns deshalb nah ist.

Viel spricht dafür, dass nichts in den letzten Tagen gegen seinen Willen geschah. Hinter allen Gerüchten über einen hilflosen Papst als Spielball der Kurie steht eher der naive Zweifel, ob in einem so geschundenen Körper noch ein wacher Geist und ein starker Wille stecken können. Aber auch das war immer die Botschaft von Johannes Paul II.: dass der behinderte Mensch Mensch ist. Entschiedener und entscheidender Mensch.

Dieser Papst ist ein Medienpapst, ein bei aller Spiritualität moderner Mensch, der sich in den Dienst seiner Kirche stellt, dennoch frei genug, zu gehen oder zu bleiben. Ein Mensch, dem man zutrauen kann, längst für den Fall entschieden zu haben, dass er nicht mehr handlungsfähig ist. Ohne eine solche Willensbekundung aber gibt es mit Sicherheit zu Lebzeiten Karol Wojtylas keinen neuen Papst.

Viel wahrscheinlicher ist, dass er den seit Jahren eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende geht. Als er einmal auf seine Krankheit und den Gedanken des Rückzugs vom Amt des Stellvertreters Gottes auf Erden angesprochen wurde, soll er gesagt haben: Christus ist doch auch nicht vom Kreuz gestiegen.

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