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Politik: Er will noch Kanzler werden

NACH DEM CSU-PARTEITAG

Von Stephan-Andreas Casdorff

Die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition hat eine seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr gekannte Schärfe erreicht. Der Wahlkampf geht nach der Wahl nicht nur weiter, er eskaliert sogar. Edmund Stoiber wollte am 22. September Kanzler werden. Er hat verloren. Aber er will es immer noch werden. Er will die Niederlage gegen Gerhard Schröder nicht akzeptieren. Der Kanzlerkandidat bleibt Kanzlerkandidat. Am Abend des Wahltages hatte Stoiber sich schon zum Sieger erklärt, dann waren es 6500 Stimmen, die ihn vom Sieg trennten. Jetzt will Stoiber sie sich holen. Der oder ich, wir oder die – Schröders Spruch versteht Stoiber als anhaltende Herausforderung. Die Demokratie wird Verbandszeug brauchen.

Die Marschroute der Union unter Stoiber ist klar: Die härteste Herausforderung, seit es Sonthofen gibt. Sonthofen war der Ort, an dem der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß vor Jahrzehnten seine Verelendungsstrategie entwarf, nach dem Motto, die Sozis müssen den Karren noch viel tiefer in den Dreck fahren, damit wir gerufen werden, ihn herauszuholen. Stoiber ist nicht nur Strauß’ Nachfahre, er war auch sein Kampagnenchef. Stoiber kann Kampagne. Jetzt setzt er auf Fundamentalopposition, bemäntelt von staatstragenden Worten. Kaum je aber hat sich eine Opposition personell so schnell gefunden: weil sie geschlossen gegen die Niederlage anrennen, die Entscheidung des Souveräns im Bund mit Hilfe des Souveräns in zwei Bundesländern revidieren will. Für die Union wird der 22. September am 2. Februar wiederholt, wenn Hessen und Niedersachsen wählen. In Hessen, wo Finanzminister Hans Eichel zu Hause ist, in Niedersachsen, der Heimat des Kanzlers, wo er seinen Nachfolger Sigmar Gabriel aufbaut. Um den es auch schlecht aussieht.

Die Union wollte die Bundestagswahl gleich anschließend juristisch anfechten, wegen der Auszählung in einigen Wahlkreisen. Inzwischen wird das Ergebnis parlamentarisch bekämpft, als „Täuschung und Betrug“ am Wähler. Der angestrengte Untersuchungsausschuss „Wahlbetrug“ soll eine der Waffen sein. Die außerparlamentarische Opposition in den Ländern hat Hessens Ministerpräsident Roland Koch übernommen, die sympathische Seite der Macht soll CDU- und Fraktionschefin Angela Merkel darstellen. Stoiber bleibt der, der ein Team kompetenter Kombattanten anführt. Und das sind zwei seiner Waffen: eine Demonstration gegen die Regierungspolitik, und eine Postkartenaktion, die an die erste Zeit nach der Wahl 1998 erinnert, als es in Hessen gelang, Eichel abzulösen. Damals als Ministerpräsident.

Die Legitimation der Aktion wird von einer vorgeblich besseren Moral abgeleitet. Sekundärtugenden sollen für den Kampf die „intellektuelle Software“ sein: Mit Anstand, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit gegen Vertrauensbruch, Täuschung und Lüge, weil die Regierung viel zu viel versprochen habe. Keine Erhöhung der Nettokreditaufnahme, keine Haushaltsnotlage mit Nachtragshaushalt, keine Beitragserhöhung bei der Rente, keinen blauen Brief aus Brüssel, keine Steuererhöhungen – nun soll die Regierung, die das Gegenteil tut, nicht ungestraft davonkommen. „Wir sind anders als die“ ist der Spruch, der Schröder herausfordern soll. Die oder wir – diesmal dreht es Stoiber um. Und Schröder soll mit den verheerend schlechten Daten so weit getrieben werden, dass er vor den Wähler treten und ein Scheitern eingestehen muss.

Was aber kommt, wenn die Union am 2. Februar gesiegt hat? Dann kommt die Kehrseite des moralischen Arguments zum Vorschein: Die Verelendungsstrategie verliert an diesem Tag ihre Rechtfertigung. So oder so. Blockieren, Negieren und Kujonieren kann Schröder auf die Knie zwingen – danach allerdings muss die Union doch mitregieren. Weil sie im Bundesrat so stark ist. Und weil nach ihrem Anspruch das Land vor der Partei kommt, eine absolute Blockade aber alle treffen würde. Auch sie.

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