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Fragen und Antworten: Erbschaftsteuer muss neu geregelt werden - wie stark werden Unternehmen belastet?

Das Bundesverfassungsgericht hat Kernelemente des Erbschaftsteuerrechts als verfassungswidrig bezeichnet. Der Gesetzgeber muss nun bis zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung finden.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz mit Blick auf die Belastung von Unternehmenserben teilweise verfassungswidrig ist, weil es dem Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 der Verfassung widerspricht. Damit müssen Bundestag und Bundesrat neue Regelungen für die steuerliche Belastung von Unternehmensübertragungen finden. (Hier die Leitsätze des Gerichts im Wortlaut)
Wie war die Regelung bisher?
Unternehmenserben, die den Betrieb weiterführten und die Beschäftigung sicherten, werden von der Steuer befreit. Die Arbeitsplatzsicherung wird daran gemessen, ob die Lohnsumme in den Jahren nach der Übernahme weitgehend stabil bleibt. Nach fünf Jahren werden bisher 85 Prozent der Steuerschuld erlassen, nach sieben Jahren muss keine Erbschaftsteuer mehr gezahlt werden. Dies gilt für alle Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten, unabhängig davon, wie gut es der Firma geht. Firmen mit weniger als 20 Beschäftigten sind bisher von der Lohnsummenklausel befreit. Das sind fast 90 Prozent aller Betriebe in Deutschland. 2012 wurden diese Befreiungsmöglichkeiten in Höhe von fast 40 Milliarden Euro in Anspruch genommen. An Erbschaft- und Schenkungsteuer nahm der Staat dagegen nur 4,3 Milliarden Euro ein. Zudem konnte mit Vermögenswerten getrickst werden, indem die Regelung genutzt wurde, wonach so genanntes Verwaltungsvermögen im Betrieb steuerbegünstigt ist. Ein vermietetes Wohnhaus etwa konnte dem Betriebsvermögen zugeschlagen werden. Bis zu 50 Prozent durfte das Verwaltungsvermögen umfassen.
Was kommt auf kleine und mittlere Betriebe zu?

Das Gericht hat Bundestag und Bundesrat bis zum 30. Juni 2016 Zeit gegeben, die erforderlichen Neuregelungen umzusetzen. Vor allem drei Forderungen des Gerichts sind wichtig. Die eine betrifft klein- und mittelgroße Unternehmen. Die können zwar weiter verschont bleiben, weil hohe Erbschaftssteuern dazu führen können, dass der Firma Kapital entnommen werden muss, das für Investitionen fehlt. Folge könnten Entlassungen oder Geschäftsaufgaben sein. Doch die Richter muten diesen Betrieben künftig mehr zu. Für die meisten Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern muss nämlich die Lohnsummenklausel entfallen, auch sie müssen also künftig Beschäftigung über mehrere Jahre hinweg sichern. Da das Gericht die Fünf- und Siebenjahresfrist als verfassungskonform bezeichnet hat, wird es wohl dabei bleiben. Also werden auch Kleinunternehmer künftig so lange ihre Mitarbeiterzahl in etwa konstant halten, um nicht unter die Erbschaftsteuer zu fallen. Ausgenommen bleiben dürfen allenfalls Kleinstunternehmer – das Gericht hält Ausnahmen für Betriebe mit „einigen wenigen Beschäftigten“ auch künftig für gerechtfertigt. Möglicherweise greift die Regierung hier auf die Altregelung zurück. Ursprünglich wurde bei Betriebsübergängen mit maximal 10 Beschäftigten auf die Kontrolle der Weiterbeschäftigung verzichtet. Erst die CDU/FDP-Koalition erweiterte 2010 die Regelung auf 20 Beschäftigte. In Unternehmerkreisen hält man aufgrund der Formulierung des Gerichts auch geringere Zahlen für möglich, etwa bis zu fünf Beschäftigten. Das wären dann kleine Handwerker oder Landwirte.

Worauf müssen sich größere Familienbetriebe einstellen?
Für große Familienunternehmen wird die bisherige Vergünstigung einer pauschalen Steuerbefreiung nach fünf oder sieben Jahren fallen. Diese Privilegierung haben die Richter als unverhältnismäßig bezeichnet, wenn es keine Bedürfnisprüfung gibt. Es sei verfassungswidrig, dass auch bei großen Unternehmen auf „enorme“ Steuersummen verzichtet werde, ohne dass die Notwendigkeit der Steuerentlastung zum Arbeitsplatzerhalt überprüft sei. Der Gesetzgeber muss nun „präzise und handhabbare Kriterien“ für die Bestimmung von Unternehmen festlegen, für die eine Verschonung von der Steuer ohne eine solche Prüfung nicht mehr in Frage kommt. Was aber sind solche Großunternehmen in Familienhand? Das Gericht gibt konkret keine Grenzen vor, deutet aber auf eine Möglichkeit hin, die sich aus dem EU-Recht ergibt. Danach gilt ein Betrieb nicht mehr als Klein- und Mittelunternehmen, wenn es mehr als 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr macht und mehr als 250 Mitarbeiter beschäftigt. Das Verwaltungsvermögen darf künftig nicht mehr 50 Prozent des Firmenvermögens ausmachen, der steuerbefreite Anteil muss erheblich geringer sein. Das wird Vermögensverschiebungen deutlich begrenzen.

Wie reagiert die Regierung?
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) begrüßte das Urteil, weil die Richter die Verschonungsregeln grundsätzlich bestätigt und nur Einzeländerungen gefordert hätten. Der Auftrag aus Karlsruhe werde „so zügig wie möglich“ umgesetzt. Schäubles Staatssekretär Michael Meister sagte, eine Maxime der Regierung werde sein, dass es „keine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Belastung gebe“. Das deutet darauf hin, dass eine stärkere Heranziehung von Großunternehmen und des Verwaltungsvermögens durch niedrigere Steuersätze ausgeglichen werden könnte. Auch aus der SPD kam Zustimmung: Die Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe sagte dem Tagesspiegel, damit sei der Weg zu mehr Steuergerechtigkeit frei. „Die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen müssen jetzt auf den Prüfstand. Eine Reform, die Arbeitsplätze gefährdet, wird es mit der SPD nicht geben.“ Der SPD-Finanzpolitiker Carsten Sieling erwartet freilich auch höhere Einnahmen: "Der logische Schluss aus dem Urteil ist, dass das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer steigt. Wer etwas anderes erzählt, will in Wahrheit nur neue Privilegien für reiche Erben und Vermögende." Die Neuregelung muss per Bundesgesetz erfolgen, finanziell profitieren allerdings nur die Länder, weil denen die Erbschaftsteuer allein zusteht.
Was sagt die Opposition?
Auch sie ist zufrieden mit dem Urteil. Linken-Chef Bernd Riexinger sagte, die ungerechte Privilegierung von Firmenerben müsse nun beseitigt werden. Die Grünen-Politikerinnen Kerstin Andreae und Lisa Paus bezeichneten das Urteil als Armutszeugnis für die Regierung, die es versäumt habe, ein verfassungsfestes Erbschaftsrecht auf den Weg zu bringen. Sie forderten eine „wirtschaftspolitisch vernünftige“ Regelung, die den Erfolg von Unternehmen und die Arbeitsplätze sichere und schlugen Freibeträge und Stundungsmöglichkeiten vor.
Wie kommt das Urteil bei den Unternehmern an?
Weniger gut. Zwar begrüßten die Verbände reihum, dass das Urteil aus Karlsruhe eher mild ausgefallen ist. Sie hatten mit Änderungsforderungen des Gerichts bereits gerechnet. Doch nun gibt es die Befürchtung, dass im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens Verschärfungen kommen. Rainer Kirchdörfer von der Stiftung Familienunternehmen sagte dem Tagesspiegel, große und auch kleine Unternehmen hätten nun neue Anforderungen zu erfüllen. „Gerade Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern haben nun, da sie nicht mehr generell von der Lohnsummenklausel befreit sind, ein erhebliches Problem zu bewältigen.“ Für die großen Familienunternehmen wird es laut Kirchdörfer dann problematisch, wenn sie nachweisen müssten, dass die Zahlung der Steuer das Unternehmen in Liquiditätsprobleme bringt. "Der Familienunternehmer würde damit ein hohes Risiko eingehen, sollte seine Bank oder ein Wettbewerber erfahren, dass die Firma durch die Erbschaftsteuer kurzfristig in Zahlungsschwierigkeiten kommen würde. Aus diesen Gründen haben bisher schon Stundungsregelungen für die Erbschaftsteuer nicht gegriffen“, sagte er.

Kommt nun eine Welle von Übertragungen vor Mitte 2016?

Eine Befürchtung ist, dass nun viele Unternehmer die Frist bis zum Juni 2016 nutzen, um unter den alten Bedingungen die Betriebe ganz oder teilweise zu übergeben. Doch das ist wenig wahrscheinlich. Kirchdörfer empfiehlt den Familienunternehmen sogar, jetzt nicht aktiv zu werden. Unternehmer seien gut beraten, keine Übertragungen vorzunehmen, bis Klarheit bestehe, was der Gesetzgeber tatsächlich vorhat. Denn das Verfassungsgericht hat es ermöglicht, die Neuregelung unter Umständen rückwirkend bis zum Tag des Urteils vorzunehmen. „Ich glaube zwar nicht, dass der Gesetzgeber das wirklich tun wird. Aber es gibt derzeit keine Sicherheit, dass die alten Regelungen tatsächlich bis 2016 wirksam sind.“ Darauf deuten erste Stimmen aus der Koalition auch hin. Sozialdemokrat Sieling will eine "Schenkungs- und Vererbungswelle unter verfassungswidrigen Bedingungen" verhindern. "Deshalb kommt es darauf an, dass die neuen Regelungen bis zum Tag des Urteils zurückwirken."
Wie viele Betriebe sind betroffen?
Letztlich fast alle Familienunternehmen - eben bis auf die noch zu definierenden Kleinstbetriebe. Allein in Berlin stehen in den kommenden Jahren 5500 Unternehmer vor der Herausforderung, ihre Nachfolge zu regeln. In Brandenburg werden 3200 Betriebe sich mit der Nachfolgeregelung auseinandersetzen müssen, wie der Bundesverband mittelständische Wirtschaft kürzlich mitteilte.

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