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Recep Tayyip Erdogan wittert wieder eine Verschwörung des Westens.

© Presidency Press Service/dpa

Erdogan als Feind dargestellt: Eklat bei Nato-Übung empört Präsidenten der Türkei

Nach einem Eklat bei einer Nato-Übung gibt es in der Türkei Forderungen, das Bündnis zu verlassen. Das Zerwürfnis mit dem Westen wird immer größer.

Ein Skandal bei der Nato verstärkt die anti-westliche Stimmung bei der türkischen Regierung und ihren Anhängern. Regierungsnahe Zeitungen fordern inzwischen den Austritt des Landes aus dem westlichen Verteidigungsbündnis, nachdem Präsident Recep Tayyip Erdogan und Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk bei einer Militärübung der Nato in Norwegen als „Feinde“ der Allianz dargestellt wurden.

Der Affront kommt zu einer Zeit, in der sich Ankara intensiv um eine enge Zusammenarbeit mit Russland bemüht und dem Westen eine anti-türkische Kampagne vorwirft. Am Mittwoch trifft sich Erdogan bei einem Dreier-Gipfel im russischen Sotschi mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem iranischen Staatschef Hassan Ruhani.

Bei der computergestützten Übung in Norwegen hatte ein ziviler Angestellter der norwegischen Armee ein Bild Atatürks einer Rubrik von „Feinden“ der Allianz hinzugefügt. Erdogans Name tauchte in einem simulierten Internet-Chatforum als „feindlicher Kollaborateur“ auf.

Ankara zog die türkischen Soldaten aus der Übung ab

In der Übung sei es um ein erfundenes feindliches Land namens „Skolken“ gegangen, in dem unschwer die Türkei zu erkennen gewesen sei, meldeten türkische Medien. Der Verantwortliche wurde entlassen, doch aus Protest gegen die Darstellungen zog Ankara die 40 an der Übung beteiligten türkischen Soldaten ab.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und die norwegische Regierung entschuldigten sich. Erdogan betonte, damit sei die Sache nicht aus der Welt zu schaffen. Hinter der Aktion stecke eine "niedere" Absicht. Ein Teil der türkischen Öffentlichkeit fühlt sich durch den Vorfall in ihrem Misstrauen gegenüber der Allianz bestätigt. „Für uns ist die Nato ein Feind“, titelte die Erdogan-nahe Tageszeitung „Yeni Safak“. Das nationalistische Blatt „Aydinlik“ forderte, die Türkei solle aus dem westlichen Bündnis austreten.

Seit Monaten liegt Ankara mit westlichen Verbündeten wie Deutschland und den USA im Clinch. Insbesondere in den Beziehungen mit Washington droht eine größere Krise. Dabei geht es zum einen um die – bisher vergebliche – türkische Forderung nach Auslieferung des mutmaßlichen Putschführers Fethullah Gülen, der in den USA lebt.

Türkei auch verärgert wegen US-Prozess gegen Reza Zarrab

Zum anderen kritisiert Ankara einen Strafprozess gegen den türkisch-iranischen Goldhändler Reza Zarrab, der ab dem 27. November in New York vor Gericht stehen soll.

Zarrab könnte Medienberichten zufolge mit einer Aussage schwerwiegende Korruptionsvorwürfe gegen die Erdogan-Regierung neu anfachen. Die Regierung in Ankara erhebt den Vorwurf, die US-Justiz sei von Gülen-Anhängern unterwandert und wolle den Zarrab-Prozess gegen die Türkei verwenden. Das Außenamt in Ankara spricht von einer "globalen" Kampagne, um die Türkei in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft leitete am Wochenende ein Ermittlungsverfahren gegen einen ehemaligen US-Staatsanwalt ein, der Zarrab angeklagt hatte.

Während die Beziehungen der Türkei zum Westen in einer Dauerkrise stecken, entwickelt sich das Verhältnis zu Russland immer besser. Erdogan und Putin haben sich in diesem Jahr bereits fünf Mal getroffen; der Gipfel mit Ruhani an diesem Mittwoch wird das sechste Mal sein. Die Türkei will ein russisches Raketenabwehr-System kaufen und irritiert damit ihre westlichen Partner. Insbesondere im Syrien-Konflikt arbeiten Ankara und Russland eng zusammen. Ankara sieht in Moskau einen Verbündeten, mit dessen Hilfe türkische Prioritäten in Syrien durchgesetzt werden könnten. Das inzwischen wichtigste Ziel der Türkei liegt darin, eine Machtausbreitung der syrischen Kurden zu verhindern. Auf der Basis einer Vereinbarung mit Russland und dem Iran hatte die Türkei kürzlich Truppen in die nordsyrische Provinz Idlib entsandt, die ein Auge auf die Kurden halten sollen.

Kooperation mit Russland immer enger

Am 24. November 2015, hatte der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe an der syrischen Grenze eine tiefe Krise zwischen Ankara und Moskau ausgelöst. Russland boykottierte türkische Importe, russische Touristen blieben türkischen Stränden fern. Seit einer Entschuldigung Erdogans im Juni vergangenen Jahres geht es wieder aufwärts mit dem bilateralen Verhältnis.

Im Rahmen der intensivierten Zusammenarbeit mit Russland ist Erdogan offenbar bereit, seinen Ruf nach einer Ablösung des syrischen Staatschefs Baschar al Assad zurückzustellen: Kooperation mit Moskau in Syrien erfordert ein zumindest indirektes Zusammenspiel mit Assads Führung. Vor einigen Tagen bezeichnete Erdogan die Führung in Damaskus ausdrücklich als „Zentralregierung“ Sayriens. Damit deutete der türkische Präsident an, dass er Assad anders als bisher Legitimität zuspreche und eine Rolle für ihn in einer Nachkriegsordnung für Syrien akzeptiere, sagte Aykan Erdemir, Türkei-Experte an der Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies in Washington, dem Tagesspiegel.

Der neue Streit mit der Nato könnte der Hinwendung an Russland zusätzlich Schwung verleihen. „Yeni Safak“ wertete den Eklat um Erdogan und Atatürk als Zeichen dafür, dass ein „Angriff“ auf die Türkei vorbereitet werde.

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