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Die wahltaktischen Überlegungen von Recep Tayyip Erdogan spielen sich vor dem Hintergrund wachsender Spannungen im Land ab.

© REUTERS

Erdogan für Minderheitsregierung: Türkei steuert auf Neuwahlen im Herbst zu

Seit Wochen wird vermutet, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Partei AKP wieder alleine an die Macht bringen will - durch Neuwahlen. Jetzt sprach er sich für eine Minderheitsregierung bis zur nächsten Wahl aus.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich am Freitag für die Bildung einer Minderheitsregierung seiner Partei AKP bis zu einer Neuwahl ausgesprochen. Gleichzeitig verstärkten die Behörden den Druck auf die legale Kurdenpartei HDP: Kurz nachdem eine Staatsanwaltschaft in Südostanatolien ein Ermittlungsverfahren gegen Parteichef Selahattin Demirtas einleitete, nahm eine andere Anklagebehörde jetzt Ermittlungen gegen Demirtas‘ Kollegin an der Parteispitze, Figen Yüksekdag, auf. Unterdessen eskalierte die Gewalt im Land weiter.

Kritiker sagen Erdogan seit Wochen nach, er wolle schnelle Neuwahlen im November, um der AKP wieder zu einer Alleinregierung zu verhelfen; bei der Wahl im Juni hatte die AKP ihre Parlamentsmehrheit eingebüßt. Auch der Druck auf die HDP ist demnach ein Teil von Erdogans Plan.

Die in der Verfassung vorgesehene Frist zur Bildung einer neuen Regierung läuft am 23. August ab. Gibt es bis dahin keine Einigung, werden Neuwahlen ausgeschrieben, die innerhalb von drei Monaten stattfinden müssen, also spätestens Ende November. Da die Parteien möglichst viel Zeit für den Wahlkampf haben wollen, dürfte der Wahltag in der zweiten Novemberhälfte liegen.

Bei der Wahl im Juni hatte die AKP ihre Parlamentsmehrheit eingebüßt

Während einer Asien-Reise verwies der Präsident vor mitreisenden Journalisten darauf, dass Koalitionsregierungen in der Türkei noch nie lange gehalten hätten. In den vergangenen Jahrzehnten sei selbst die stabilste Koalition nach lediglich dreieinhalb Jahren zerbrochen. Die Bildung einer Minderheitsregierung einer Partei, die von anderen Parteien im Parlament geduldet werde, sei dagegen bis zu Neuwahlen durchaus möglich. Presseberichten zufolge strebt die AKP eine entsprechende Absprache mit der rechtsnationalen Partei MHP an.

Offiziell verhandelt die AKP mit der säkulären Oppositionspartei CHP über die Bildung einer Großen Koalition. Der frühere Staatspräsident Abdullah Gül sprach sich für diese Variante aus, weil sie stabile Verhältnisse bringe, und verwies auf das Beispiel Deutschland. Doch Beobachter geben der Großen Koalition in Ankara kaum noch eine Chance. Nun, da Erdogan so deutlich seinen Widerstand gegen eine Koalition signalisiert habe, werde die AKP dieser Richtungsentscheidung wohl folgen, kommentierte die Journalistin Asli Aydintasbas auf Twitter.

Erdogan hatte Friedensprozess mit PKK für beendet erklärt

Die wahltaktischen Überlegungen spielen sich vor dem Hintergrund wachsender Spannungen im Land ab. Die Türkei hatte vor einer Woche mit Luftangriffen auf den "Islamischen Staat" und besonders auf die PKK-Kurdenrebellen begonnen; Erdogan erklärte außerdem den türkisch-kurdischen Friedensprozess für beendet. Dahinter steckt die Überzeugung Erdogans, dass die Friedensgespräche mit den Kurden der AKP geschadet haben. Meinungsforschern zufolge gab die Erdogan-Partei bei der Juni-Wahl sowohl an die Kurdenpartei HDP als auch an die rechte MHP viele Stimmen ab.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärte unterdessen, die Offensive gegen die PKK werde weitergehen, bis die Rebellen die Waffen strecken. Darauf gibt es aber keine Hinweise, im Gegenteil. In der Nacht zum Freitag griffen mutmaßliche PKK-Mitglieder eine Polizeiwache in der Provinz Adana an und töteten zwei Beamte; auch zwei PKK-Kämpfer starben.

Auch am Freitag gab es wieder Gewalt

Am Freitag wurde ein Armee-Konvoi angegriffen; drei Soldaten wurden verwundet. Teile einer Provinz im Kurdengebiet wurden zu militärischen Sperrzonen erklärt. Die Anschläge der PKK, die nach offiziellen Angaben in den letzten zwei Wochen mehr als ein Dutzend Soldaten und Polizisten tötete, setzen die legale Kurdenpartei HDP unter wachsenden Druck, weil die Gewalt im Widerspruch zu den HDP-Friedensappellen steht. Die Regierung fordert die HDP, die über enge Kontakte zur PKK verfügt, seit langem auf, sich eindeutig von der als Terrorgruppe eingestuften Organisation zu distanzieren.

HDP-Chef Demirtas erklärte, der einzige Ausweg aus der derzeitigen Lage in der Türkei bestehe in Verhandlungen. Die "Rückkehr zur Waffe" sei keine Lösung, sagte er an die Rebellen gerichtet. Weder der türkische Staat noch die PKK sollten Verhandlungen als Zeichen der Schwäche auffassen. Alle Seiten sollten "den Finger vom Abzug nehmen".

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