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Politik: Erdogan legt Justizreform teilweise auf Eis Aber scharfe Kritik am größten Wirtschaftsverband

Istanbul - Einwände der Europäischen Union und von Staatspräsident Abdullah Gül haben die schnelle Verabschiedung einer heftig umstrittenen Justizreform in der Türkei verhindert. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ließ wichtige Teile der Reform, die als Angriff auf die Gewaltenteilung gesehen wird, am Freitag vorerst einfrieren.

Istanbul - Einwände der Europäischen Union und von Staatspräsident Abdullah Gül haben die schnelle Verabschiedung einer heftig umstrittenen Justizreform in der Türkei verhindert. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ließ wichtige Teile der Reform, die als Angriff auf die Gewaltenteilung gesehen wird, am Freitag vorerst einfrieren. Gleichzeitig erhöhte er jedoch die gesellschaftlichen Spannungen, indem er den wichtigsten Wirtschaftsverband des Landes wegen angeblicher Parteinahme für Regierungsgegner scharf angriff. Die Lira fiel indes auf neue Tiefstände gegenüber Dollar und Euro. Das macht Energieeinfuhren und andere Importe für die Türkei teurer.

Mit der Justizreform will die Regierung das für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten zuständige Gremium HSYK neu ordnen. Der Gesetzentwurf gibt dem Justizministerium viele Vollmachten bei der Besetzung von HSYKPosten. Erdogan sagt, die Reform sei nötig, um dem Einfluss regierungsfeindlicher Kräfte im Justizapparat zu begegnen. Die Opposition und andere Kritiker sprechen von einem undemokratischen Versuch, der Erdogan nahezu unbeschränkte Macht sichern würde.

Auch Staatspräsident Gül, ein politischer Weggenosse des Premiers, teilt diese Befürchtungen offenbar. Nach Presseberichten soll er mit seinem Veto gegen die Reform gedroht haben. Die EU hatte Erdogan ebenfalls aufgefordert, die Regeln der Gewaltenteilung einzuhalten.

Hintergrund ist ein Machtkampf zwischen der Erdogan-Regierung und der Bewegung „Hizmet“ des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Im Staatsapparat der Türkei war in den vergangenen Jahren die alte säkularistische Elite weitgehend durch islamisch-konservative Kader ersetzt worden, die nun um die Vorherrschaft ringen.

Die im Dezember aufgetauchten Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung sieht Erdogan als Angriff von „Hizmet“. Mit der HSYK-Reform will er die Macht der Gülen-Anhänger in der Justiz brechen. Die Versetzung von mehreren tausend Polizisten, Richtern und Staatsanwälten hatte dasselbe Ziel.

Manche Beobachter glauben, dass der Höhepunkt der Auseinandersetzung noch nicht erreicht ist. Der Kolumnist Hasan Gülerce, der als inoffizieller Sprecher von „Hizmet“ gilt, verglich die Situation in der Zeitung „Zaman“ mit zwei Fahrzeugen, die auf einer einspurigen Brücke aufeinander zurasen. Erdogan sagte, die Entscheidung falle bei den Kommunalwahlen am 30. März. Die Wahl gilt als wichtiger Test für die Regierungspartei AKP und den Premier persönlich.

Die Spannungen entluden sich am Donnerstag in einer Schlägerei im Parlament von Ankara, bei der ein AKP-Abgeordneter einen Oppositionspolitiker krankenhausreif schlug. Erdogan selbst ließ die Lage am Freitag weiter eskalieren, indem er den Industriellenverband Tüsiad scharf attackierte. Dessen Chef Muharrem Yilmaz hatte die geplante Justizreform kritisiert und der Regierung vorgeworfen, ausländische Investoren zu verprellen. Erdogan nannte diese Kritik „Landesverrat“. Thomas Seibert

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