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Erdogan droht im Falle eines Einfrierens der EU-Beitrittsgespräche mit einer Kündigung des Flüchtlingsdeals.

© dpa

Flüchtlingsdeal mit der Türkei: Erdogans Drohung läuft ins Leere

Der türkische Präsident deutet eine Öffnung der Grenzen an. Die EU und Deutschland wiegeln ab, rechnen aber nicht ernsthaft mit einer Kündigung des Flüchtlingsdeals.

Berlin und Brüssel haben am Freitag gelassen auf Drohungen des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan reagiert. Erdogan hatte der EU mit der Öffnung der türkischen Grenzen für Flüchtlinge gedroht und damit faktisch mit einer Aufkündigung des Flüchtlingspakts. „Wenn Ihr weitergeht, werden diese Grenzübergänge geöffnet werden“, sagte der türkische Staatspräsident am Freitag in Ankara. Er reagierte damit auf eine Resolution des Europaparlaments, in der die Abgeordneten sich am Donnerstag dafür aussprachen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzufrieren. Das Votum ist allerdings nicht bindend und hat daher zunächst keine praktischen Auswirkungen.

Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte am Freitag in Berlin, die Fortsetzung des Flüchtlingsabkommens liege „im Interesse aller Beteiligten“. Ein Sprecher der EU-Kommission nannte Überlegungen zu einer Aufkündigung des Paktes „hypothetische Szenarien“.

Mehr als drei Millionen Flüchtlinge leben in der Türkei, die meisten davon aus Syrien.
Mehr als drei Millionen Flüchtlinge leben in der Türkei, die meisten davon aus Syrien.

© Umit Bektas/REUTERS

Auch die Regierung in Österreich wies die Drohung Erdogans zurück. „Eine derartige Wortwahl bestätigt leider, dass wir uns hier in keine Abhängigkeit von der Türkei begeben dürfen“, sagte Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka dem Tagesspiegel mit Blick auf die Ankündigung des türkischen Präsidenten.

Kein Chaos zu erwarten

Polizei und Nachrichtendienste in Deutschland rechnen derweil nicht mit einem erneuten dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen. Es sei nicht zu erwarten, dass Erdogan seine Drohung wahr mache, hieß es in Sicherheitskreisen. Vermutlich wolle der Staatschef auch nach innen wirken und seine Landsleute beruhigen, die angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in der Türkei zunehmend kritisch die Anwesenheit von mehreren Millionen Flüchtlinge sähen. Doch selbst wenn Erdogan Flüchtlinge in Richtung Balkanroute ausreisen ließe, sei kein Chaos wie 2015 zu erwarten. „Dann kommen zwar mehr als jetzt, aber bestimmt nicht die Massen wie damals“, sagte ein Sicherheitsexperte. Er verwies auf die von Ungarn und Mazedonien errichteten Grenzzäune. Sollte Erdogan die Flüchtlinge aus der Türkei in Richtung Balkan ziehen lassen, „werden die deutschen Behörden trotzdem die Lage im Griff behalten“.

Nach Erkenntnissen der Bundespolizei lässt in diesem Jahr die Zuwanderung von Flüchtlingen über die Balkanroute weiter nach. „Die Tendenz geht nach unten“, sagte ein Sprecher der Bundespolizeidirektion München. Von Januar bis Oktober seien im Schnitt nur noch etwa 40 Prozent der an der deutsch-österreichischen Grenze festgestellten Personen ohne Reisedokumente oder ohne Visum über die Balkanroute gekommen. Die anderen 60 Prozent kämen über das Mittelmeer und Italien. Die Bundespolizei registrierte von Januar bis Oktober mehr als 123 000 Flüchtlinge an der 815 Kilometer langen deutsch-österreichischen Grenze. Die meisten waren Syrer, gefolgt von Afghanen, Irakern, Iranern und Nigerianern.

Im Kampf gegen die Schlepperbanden hat die Bundespolizei offenbar einige Erfolge erzielt. Es seien 450 Schleuser festgenommen worden, sagte der Sprecher der Direktion München.

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