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Kaczynski

© REUTERS

Politik: Erhöhte Wahlbereitschaft in sommerlicher Hitze

Kür des polnischen Präsidenten war spannend bis zum Schluss / Kaczynskis Wandlungsfähigkeit gegen Komorowskis Farblosigkeit

„Es ist 30 Grad, doch statt sich am Strand zu sonnen, harren die Leute standhaft vor den Wahllokalen in den Schlangen aus“, vermeldete das Online-Wahlportal der links-liberalen „Gazeta Wyborcza“ voller Freude aus dem westpommerschen Ostseebadeort Rewal. Aus Ustronie Morskie, ebenfalls an der Ostsee, konnte die Zentrale Wahlkommission bereits morgens um acht Uhr eine Stimmbeteiligung von 20 Prozent vermelden. Auch andernorts lief die Präsidentenwahl besser an als gedacht. Und so schien der Sonntag für den Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, der laut Expertenmeinung von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren würde, nicht gut zu beginnen. Regierungschef Donald Tusk, der die Kandidatur seines farblosen Parteifreundes Bronislaw Komorowski unterstützt hatte, rieb sich die Hände: „Zum Glück haben wir trotz des schönen Wetters und der Ferienzeit eine höhere Wahlbeteiligung“, sagte er nach Abgabe seines Stimmzettels aufgeräumt. „Diesmal gehen halt die Emotionen hoch“, meinte der Regierungschef.

Doch statt politischer Diskussionen hörte man am Sonntag in der Hauptstadt Warschau vor allem Mutmaßungen über die Stimmbeteiligung. Erstmals fanden in Polen Wahlen mitten in der Haupturlaubszeit statt. Die Briefwahl kennt man hierzulande nicht, wer nicht an seinem Hauptwohnsitz abstimmen will, muss sich rechtzeitig dort abmelden und eine Sondergenehmigung beibringen. 670 000 Polen haben diese für die Stichwahl beantragt, zehnmal mehr als vor fünf Jahren. Dazu hat das Außenministerium in beliebten Urlaubsländern fast hundert Wahllokale zusätzlich eröffnet. Freilich machen die Sonderwahlgenehmigungen bei 30 Millionen Stimmberechtigten nur einen kleinen Prozentsatz aus.

Was Beobachter mehr umtrieb, war die Frage, wieso ein abgeschriebener Politiker wie Jaroslaw Kaczynski in der ersten Runde von einem Wählerpotenzial von knapp über fünf Prozent Anfang des Jahres auf fast 40 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang hochschnellen konnte. Der tragische Flugzeugabsturz seines Zwillingsbruders Lech bei Smolensk wirkte dabei zweifellos als Katalysator. Doch erst die schwache Wahlkampagne seines Herausforderers Komorowski gab Kaczynski zusammen mit der unermüdlichen Arbeit seines hervorragenden Wahlkampfteams seiner Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) eine reelle Wahlchance zurück. Ein wahres Bravourstück in Sachen Politikmarketing war dabei die angebliche Wandlung Kaczynskis zum Konsenspolitiker sowie Deutschland- und Russlandfreund.

Tusks und Komorowskis Bürgerplattform (PO) hatte die Kaczynski-Zwillinge zwar zwei Jahre lang als Ausrede für unterbliebene Reformen und den Bruch von Wahlversprechen genutzt. Im Präsidentschaftswahlkampf aber vermochte sie den Polen nicht klarzumachen, was eine Rückkehr Jaroslaw Kaczynskis in eine Machtposition für Polen bedeuten würde. Nachdem die Wahlbeteiligung sich sieben Stunden vor Urnenschluss bereits wieder an den Wert vor zwei Wochen angenähert hatte, machten sich in Warschau die ersten Komorowski-Anhänger ganz eigene Zukunftsgedanken. „Ein Kaczynski-Sieg bedeutet das Ende seiner auf dem Führerprinzip aufgebaute PiS“, spekulierten sie, „die Parlamentswahlen von 2011 haben die Liberalen damit in der Tasche.“

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