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Erinnerung an Bosnienkrieg: Türkei sieht "Wendepunkt" in Syrien

Teile des syrischen Widerstands drohen, die vereinbarte Waffenruhe aufzukündigen. Damit wäre der UN-Friedensplan vollends gescheitert, das Land droht im Bürgerkrieg zu versinken. Die Türkei drängt auf eine Intervention aus dem Ausland.

Der Friedensplan von Syrien-Vermittler Kofi Annan steht wegen der anhaltenden Gewalt im Land möglicherweise vor dem Kollaps. Bewaffnete Regierungsgegner in Syrien kündigten an, sich im Fall von fortgesetzten Angriffen der Sicherheitskräfte von diesem Freitag an nicht mehr an die Waffenruhe zu halten, die das Kernstück von Annans Sechspunkteplan bildet.

Der syrische Nachbar Türkei forderte unterdessen, auch über militärische Optionen müsste in Syrien nachgedacht werden. Außenminister Ahmet Davutoglu unterstrich, in den 90er Jahren seien in Bosnien viele Menschen gestorben, weil die Welt nicht eingegriffen habe. Nach Einschätzung von Diplomaten könnte das Assad-Regime schon bald in ernste finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Mitglieder der „Freien Syrischen Armee” (FSA), der aus Deserteuren gebildeten Oppositionsarmee in Syrien, erklärten mit Hinweis auf die jüngsten Massaker des Regimes von Präsident Baschar al Assad, die Regierungstruppen hätten nur noch bis zu den Mittagsstunden des heutigen Freitags Zeit, um die von Annan verlangte Waffenruhe einzuhalten. Sollte die Gewalt anhalten, fühle sich die FSA nicht mehr an den Annan-Plan gebunden.

FSA-Chef Riad al Asaad dementierte wenig später das Ultimatum, sagte aber, Annan solle von sich aus offiziell das Scheitern seines Friedensplans erklären. In diesem Fall wäre die FSA nicht mehr zu einer Waffenruhe verpflichtet. Nach Oppositionsangaben beschossen Regierungstruppen am Donnerstag erneut die Region um die Stadt Al Hula, in der bei einem Massaker in der vergangenen Woche nach UN-Angaben mehr als 100 Menschen starben, darunter viele Kinder.

Auch der türkische Außenminister Davutoglu sagte, die jüngsten Massaker in Syrien seien ein „Wendepunkt“ gewesen. Die internationale Gemeinschaft müsse „alle Optionen“ in Betracht ziehen. „Für niemanden, und schon gar nicht für ein Land wie die Türkei, ist eine militärische Intervention die erste Wahl“, sagte Davutoglu dem türkischen Nachrichtensender NTV. „Aber wir wissen, wie hoch der Preis der bloßen Zuschauerrolle bei den dreieinhalbjährigen Massakern in Bosnien war“, fügt er hinzu: „Damals starben 300 000 Menschen.“ Die Gewalt in Bosnien wurde schließlich durch ein Eingreifen der Nato beendet.

Davutoglu wollte noch am Donnerstag mit seinem französischen Amtskollegen Laurent Fabius telefonieren, dessen Regierung ein militärisches Eingreifen in Syrien ebenfalls als Möglichkeit betrachtet. Erst am Mittwoch hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bekräftigt, die Errichtung einer militärisch abgesicherten Pufferzone auf der syrischen Seite der gemeinsamen Grenze bleibe eine Option. Entscheidungen gebe es aber noch nicht. Ankara hofft darauf, dass das Assad-Regime unter dem Druck der internationalen Sanktionen und der stärker werdenden bewaffneten Opposition zusammenbricht, ohne dass das Ausland eingreifen müsste. Die Regierung in Damaskus verliere jeden Tag weiter an Boden, hieß es am Donnerstag in türkischen diplomatischen Kreisen.

Ermittlungen zu dem Massaker von Hula durch einen Untersuchungsausschuss von syrischer Justiz und Armee ergaben, dass „bewaffnete Gruppen“ die Taten begangen haben sollen. Sie hätten friedliche Familien getötet“, sagte der Chef der Ermittlergruppe, Kassem Dschamal Sleiman, am Donnerstag bei der Vorstellung der Ergebnisse. Die betroffenen Familien hätten sich „geweigert, sich gegen den Staat aufzulehnen“. Sie hätten „niemals zu Waffen gegen den Staat gegriffen“, sagte Sleiman. Bei den Angreifern habe es sich um bis zu 800 bewaffnete Männer aus der Gegend von Hula gehandelt. Ziel der „Terroristen“ sei es gewesen, „Unfrieden“ zu stiften und internationale Reaktionen „zwecks einer Intervention“ des Auslands in Syrien hervorzurufen. Die Ermittlungen von Justiz und Armee beruhten auf Augenzeugenberichten, betonte der Minister. Die USA nannten die Untersuchungsergebnisse eine „offenkundige Lüge“.

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