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Viel zu wenig: Die Zahl der Organspenden in Deutschland geht weiter zurück.

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Update

Immer weniger Organspender: "Erschütternde Bilanz"

Die Skandale der Vergangenheit in den Transplantationskliniken wirken immer noch nach. Die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland sinkt weiter. Mit dramatischen Folgen.

Die Zahl der Organspender in Deutschland hat im vergangenen Jahr einen neuen Tiefpunkt erreicht. Mit nur noch 876 Spendern (Vorjahr: 1.046) sei sie auf den niedrigsten Wert seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 1997 gesunken. Das entspricht einem Rückgang um 16,3 Prozent, berichtete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am Mittwoch in Frankfurt. Es handelt sich um vorläufige Zahlen.
Die Bundesrepublik erzielte damit einen Durchschnitt von 10,9 Spendern pro eine Million Einwohner, 2012 waren es noch 12,8 Spender.
Damit bleibt Deutschland in Europa auf einem der hinteren Plätze. Die Summe der gespendeten Organe sank von 3.511 im Jahr 2012 auf 3.034 im vergangenen Jahr (minus 13,6 Prozent). Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 3.247 Spenderorgane aus dem Eurotransplant-Verbund in Deutschland transplantiert, im Jahr 2012 waren es noch 3.706. Demgegenüber standen 11.000 Patienten, die dringend auf ein Spenderorgan warten, sei es Niere, Leber, Lunge oder Herz.

Die DSO spricht von einer "erschütternden Jahresbilanz". "Nach dem starken Rückgang der Organspenden im Jahre 2012 hat sich diese dramatische Entwicklung 2013 noch weiter verschärft", sagte der Vorsitzende der Stiftung, Rainer Hess. Die DSO betrachte "diese Entwicklung mit großer Sorge". Man werde einen "langen Atem brauchen, um wieder Vertrauen aufbauen zu können". Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, sprach von einem erschütternden Ergebnis, das allerdings nachvollziehbar sei. Viele Menschen hätten mit Blick auf die Skandale in Transplantationskliniken erhebliche Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit, sagte er im Deutschlandfunk. Dennoch gehe es für die betroffenen Patienten um verschenkte Lebenschancen. Montgomery unterstrich, der Trend müsse umgekehrt werden, und zwar mit Transparenz und mehr Öffentlichkeitsarbeit.

Laut DSO verlief die Entwicklung der Spendezahlen im Jahresverlauf und nach Regionen sehr unterschiedlich. So seien im August und November statt der sonst im Schnitt 100 Spender weniger als 60 registriert worden. Besonders stark sei der Einbruch in Bayern ausgefallen, wo die Zahl der Organspender um beinahe ein Viertel gesunken sei. Dort und in Baden-Württemberg kam statistisch gesehen nicht einmal mehr ein Spender auf 100.000 Einwohner; das sind bundesweit die niedrigsten Werte.
Ein Grund für die mangelnde Bereitschaft zur Organspende seien die 2012 und danach bekanntgewordenen Manipulationen bei Organtransplantationen in einigen Universitätskliniken, sagte Hess.
Auch seien Ärzte und Krankenhäuser verunsichert, nach welchen Kriterien sie Patienten noch auf eine Warteliste für ein Spenderorgan setzen dürften. Verbesserungsmöglichkeiten gebe es nicht zuletzt auch bei den Massenanschreiben einiger Krankenkassen. Im vergangenen Jahr hatten die Kassen ihren Versicherten Informationsmaterial und einen Organspendeausweis zugeschickt, mit der Aufforderung, sich für oder gegen die Spende zu entscheiden.

Wie viele Organe werden jährlich gespendet?

2013 gab es nur noch 876 Spender (Vorjahr: 1.046). Das ist der niedrigste Wert seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 1997 und entspricht einem Rückgang um 16,3 Prozent gegenüber 2012. Die Bundesrepublik erzielte damit einen Durchschnitt von 10,9 Spendern pro eine Million Einwohner, 2012 waren es noch 12,8 Spender. Damit bleibt Deutschland in Europa auf einem der hinteren Plätze. Die Summe der gespendeten Organe sank von 3.511 im Jahr 2012 auf 3.034 im vergangenen Jahr (minus 13,6 Prozent).

Welche Organe können gespendet werden?

Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauschspeicheldrüse und Dünndarm können von einem verstorbenen Spender übertragen werden. Außerdem lassen sich Gewebe wie Hornhaut oder Knochen verpflanzen. Ein einzelner Organspender kann bis zu sieben schwer kranken Menschen helfen. Neben der Spende nach dem Tod ist es möglich, eine Niere oder einen Teil der Leber bereits zu Lebzeiten zu spenden. Lebendspenden sind aber nur unter nahen Verwandten und einander persönlich eng verbundenen Personen zulässig.

Welche Voraussetzungen gelten für eine Organspende?

Damit Organe nach dem Tod entnommen werden können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders oder der Angehörigen vorliegen und der Hirntod muss eindeutig festgestellt worden sein.

Wie gelangt das Organ vom Spender zum Empfänger?

Eine Organentnahme nach dem Tod ist in jedem der rund 1.300 deutschen Krankenhäuser mit Intensivstation durchführbar. Die Krankenhäuser sind verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu ernennen. Er informiert dann die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Sie vermittelt unabhängige Fachärzte, die die Hirntoddiagnostik durchführen. Zudem veranlasst der Koordinator Untersuchungen der Organe auf Erkrankungen und Infektionen. Die Untersuchungsergebnisse zu Spender, Blutgruppe und Gewebemerkmalen leitet der Koordinator an die europäische Organvermittlungsstelle Eurotransplant weiter, die mit Hilfe der Daten der Patienten auf der Warteliste die passenden Empfänger ermittelt und die zuständigen Transplantationszentren informiert. Die Zentren, von denen es derzeit 47 in Deutschland gibt, verständigen den Empfänger und führen die Transplantation durch. Nach welchen Kriterien werden die Organe vergeben? Für die schwer kranken Patienten werden Wartelisten geführt und Punkte vergeben, deren Kriterien die Bundesärztekammer festlegt. Die Platzierung der Patienten richtet sich vor allem nach den medizinischen Kriterien der Erfolgsaussicht und der Dringlichkeit einer Transplantation. Auch werden die Gewebeverträglichkeit und die Wartezeit gewichtet.

Wie kommt es zu den Manipulationsvorwürfen?

Verdacht auf Manipulationen bei der Organvergabe gab es in Göttingen, Leipzig und München rechts der Isar, dazu auch in Münster. An der Universitätsklinik Regensburg, die ebenfalls unter dem Verdacht der Manipulationen stand, gab es einem im September veröffentlichten Bericht zufolge im untersuchten Zeitraum keine Auffälligkeiten. Beteiligten Ärzten wird vorgeworfen, dass sie Patienten kränker darstellten, damit sie auf der Warteliste für Transplantationen weiter nach oben rutschten. Mediziner beklagen grundsätzlich eine starke Konkurrenz um Organe zwischen deutschen Kliniken; deshalb solle die Zahl der Transplantationszentren vermindert werden. Beklagt wird zudem eine mangelnde Professionalität in der Transplantationsmedizin. Das Fachgebiet sei heute nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Professor oder zum Chefarzt.

Wie sollen Manipulationen verhindert werden?

Nach den ersten bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten hatte die Bundesärztekammer 2012 schärfere Kontrollen beschlossen. Danach soll eine interdisziplinäre Transplantationskonferenz am jeweiligen Behandlungszentrum darüber entscheiden, ob ein Patient auf die Warteliste aufgenommen wird. Damit wurde das "Mehraugenprinzip" umgesetzt.
Der Bundestag beschloss im Juni 2013 eine Änderung des Transplantationsgesetzes. Es sieht für Ärzte, die Manipulationen an Wartelisten vornehmen, eine "Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe" vor. Zudem muss sich die Bundesärztekammer die Richtlinien, nach denen Organe vergeben werden, künftig vom Gesundheitsministerium genehmigen lassen. Bereits 2012 wurden die Krankenkassen verpflichtet, jeden Bürger regelmäßig über Organspenden aufzuklären. Außerdem müssen seitdem alle Kliniken mit Intensivstation einen Transplantationsbeauftragten ernennen. Die DSO hat zudem beschlossen, durch eine stärkere Einbindung von Bund und Ländern in ihren Stiftungsrat für neues Vertrauen zu werben. Außerdem wird die Gründung eines Transplantationsregisters angestrebt. (KNA)

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