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Flagge Großbritanniens.

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Großbritannien nach der Wahl: Erst "Brexit", dann "Scoxit"?

In Großbritannien haben bei der Wahl zwei Parteien gewonnen, die eine Loslösungs-Politik betreiben: David Camerons Konservative wollen das Verhältnis zur EU neu regeln, die schottischen Nationalisten möchten mehr Unabhängigkeit. Europa stehen schwere Zeiten bevor. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

In der britischen Labour Party wird sich jetzt vielleicht der eine oder andere noch einmal an das Jahr 2010 erinnern. Damals stach Ed Miliband seinen Bruder David beim Rennen um den Vorsitz der sozialdemokratischen Partei aus. Ed, der Parteilinke, gewann gegen den eher gemäßigten Kontrahenten David, der zuvor Außenminister gewesen war. Es war eine fatale Entscheidung, wie sich in der Nacht zum Freitag herausgestellt hat. Die Labour Party hat das schlimmste Wahldebakel seit Jahrzehnten erlebt. Der Oppositionsführer Ed Miliband, der im Verhältnis zu Premierminister David Cameron stets blass wirkte, hat einen entscheidenden Anteil an der Niederlage. Deshalb ist sein Rücktritt als Parteichef nur folgerichtig.

Vertrauensbeweis für wirtschaftlich erfolgreichen Premier

David Cameron bleibt Regierungschef in einem Land, das sich politisch nach der Unterhauswahl dramatisch verändert hat: Die Labour-Partei ist auf der Landkarte in Schottland praktisch ausradiert, die Liberalen haben sich mehr oder weniger aufgelöst, und in England schwang das Pendel diesmal großzügig zu Gunsten der auch weiterhin regierenden Konservativen aus. Das Wahlergebnis ist in erster Linie ein Vertrauensbeweis einer Wählermehrheit zu Gunsten der Wirtschaftspolitik Camerons, der dem Land gute Wachstumsraten gebracht hat – und neue Jobs, von denen viele auf dem Kontinent nur träumen können. Bemerkenswert an dieser Wahl ist vor allem, das zwei Parteien gewonnen haben, die eine Loslösungs-Politik betreiben. Die Scottish National Party hat trotz – oder gerade wegen – der Referendums-Niederlage vom vergangenen September ihren Traum nicht begraben, eines Tages die völlige Unabhängigkeit von London zu erreichen. Und David Camerons Konservative wollen möglichst wenig mit der EU zu tun haben. Cameron möchte über die Kompetenzverteilung zwischen der EU und Großbritannien neu verhandeln und anschließend 2017 ein Referendum über den Verbleib in der Gemeinschaft abhalten.

Camerons Forderungen an die EU sind kaum zu erfüllen

Beide Dinge – das Referendums-Versprechen Camerons und die Unabhängigkeitsbestrebungen der Scottish National Party – haben direkt miteinander zu tun. Sie könnten zum Sprengsatz werden für die Europäische Union, wie wir sie bisher kannten. Denn noch ist nicht absehbar, dass Cameron den Briten 2017 tatsächlich eine Neuordnung im Verhältnis zwischen Brüssel und London präsentieren kann, die ihm auch ein „Ja“ beim Referendum für einen Verbleib in der EU bescheren würde. Nach wie vor bleibt die Strategie Camerons zweischneidig: Einerseits beteuert er, auf einen Verbleib Großbritanniens in der Gemeinschaft hinzuarbeiten, andererseits stellt er Forderungen an die EU, die kaum zu erfüllen sein dürften. Das gilt beispielsweise für den Wunsch, Arbeitsmigranten aus der EU auf der Insel für mehrere Jahre pauschal vom Bezug von Sozialleistungen auszuschließen. Eine solche Forderung wäre mit dem Vertragsrecht der EU nicht vereinbar, und auf eine derartige Vertragsänderung dürften sich Camerons EU-Partner nicht einlassen.

Schotten haben kein Problem mit der EU

Sollte Cameron die von ihm geweckten Erwartungen an eine Neuordnung der EU bei den Wählern nicht erfüllen, dann könnte auch der zweite Teil des britischen Sprengsatzes zünden: Im Fall eines mehrheitlichen „Nein“ der Briten zu einem EU-Verbleib würden vermutlich die Schotten auf die Barrikaden gehen, die anders als viele andere Menschen südlich des Hadrianwalls grundsätzlich kein Problem mit Brüssel haben. Auf den „Brexit“ könnte dann der „Scoxit“ folgen – der Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich und der anschließende Wiedereintritt in die EU.

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