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Politik: Erstaunt, wie gut das alles geklappt hat - der Bundestag erlebt seine neue Heimstatt

So voll mit Journalisten ist der überhitzte Raum, dass Gregor Gysi es kaum schafft, sich zu seiner eigenen Pressekonferenz nach vorne zu boxen. "Sollten wir nicht wenigstens Wasser anbieten?

So voll mit Journalisten ist der überhitzte Raum, dass Gregor Gysi es kaum schafft, sich zu seiner eigenen Pressekonferenz nach vorne zu boxen. "Sollten wir nicht wenigstens Wasser anbieten?", fragt ein Mitarbeiter. Die Kollegin zuckt mit den Schultern. "Wir haben doch keine Gläser."

Die PDS traf es am härtesten. Vor zwei Wochen zog die Fraktion in zwei Häuser im Bezirk Mitte. Noch sind nicht alle Computer oder Telefone angeschlossen. In der Briefverteilstelle liegen die Plastikablagen und Pappkartons auf dem Boden, ordentlich nebeneinander. "Wir haben jetzt Grund drin", sagt die Mitarbeiterin tapfer. "Jeder Abgeordnete bekommt seine Post." Im Nebenhaus, an der Mauerstraße, ist die Lobby berghoch mit Möbeln gefüllt. Die Möbelpacker von "Confern" karren Kiste um Kiste heran. Draußen vor der Tür hat die Gauck-Behörde - mit der sich die PDS das Gebäude teilt - ein Schild aufgestellt: Die Ausstellung "Die Stasi" kann kostenlos besucht werden.

Ein bisschen weiter logiert die SPD-Fraktion, die - ebenfalls provisorisch - in zwei Neubauten an der Friedrichstraße und Unter den Linden unterkam. Hier sind Schreibtische eher überzählig. Manche Leute wussten nicht, dass sie in Berlin einen neuen kriegen, heißt es. Nur noch vor der Hälfte der Türen stapeln sich Kartons. Am Eingang klebt ein Zettel. "Kiste mit Geschirr und Kaffeemaschine gefunden." Ein anderer Zettel weist auf nahe Restaurants hin, denn eine Kantine gibt es erst von September an. "Wo ist denn nun", fragt ein verzweifelter Mann, "dieses Café Einstein?" Das weiß der Pförtner auch nicht, denn der ist erst am Montag aus Bonn gekommen.

"Gestern hat unser Geschäftsführender Fraktionsvorstand zum ersten Mal hier getagt, da warteten vor der Tür schon die selben Journalisten wie in Bonn", sagt Ilse Janz, die Umzugsbeauftragte. Nur, dass der Konferenzsaal provisorisch möbliert wurde; die richtigen Möbel kommen erst. Umzugschaos? "Relativ gesehen, ging das noch", sagt Janz. Diese riesigen Mengen von Bonn nach Berlin zu bewegen, da gebe es eben Probleme. "Einige Abgeordnete hatten wohl die Vorstellung, ihre Büros werden von Bonn hinübergebeamt."

Noch im August wird die Fraktion im Reichstag tagen, sobald der Sitzungssaal begehbar ist - derzeit ist der Boden hoch gehoben, um die Klima-Anlage neu einzustellen. "Von diesem Haus zum Reichstag werden wir natürlich weitere Wege haben als in Bonn", sagte Janz. "Aber nur, bis unsere Büro-Neubauten im Spreebogen fertig sind." Ob es ein anderes Gefühl sei, in Berlin zu arbeiten? "Mich dürfen Sie das nicht fragen, als Umzugsbeauftragte bin schon zu lange hier", sagt Janz. "Am Anfang wollte ich mich immer abends Unter den Linden hinsetzen und die Stadt genießen, aber die Arbeit nimmt mich zu sehr in Beschlag."

Gabriele Lenz von der Pressestelle nimmt sich dafür mehr Zeit. "Wir Pendler haben alle keine Lust, zu Hause zu sitzen", erzählt sie. "Wir fahren jeden Abend in irgendeinen Stadtteil und gucken, wie es da aussieht. Gestern waren wir am Mehringdamm." Natürlich pendeln nicht alle. "Wir hatten eine gewaltige Fluktuation wegen des Umzugs, wir mussten viele Leute in Berlin einstellen", sagt Lenz. "Heute kommen schon wieder 18 neue". Ihre Arbeitsbedingungen seien hier eher besser als in Bonn.

Schräg gegenüber, an der Ecke zum Hotel Adlon, sitzt die CDU / CSU. Der Blick nach hinten heraus fällt auf die russische Fahne über der Botschaft. Die Flure sind mit gefalteten Kartons gefüllt. Beim Treppenhaus mit seinen Marmorsäulen liegt das Büro des Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble. Herr Schäuble komme erst Ende August, sagt die Sekretärin. Auch sonst trifft man nur Mitarbeiter, die Computer zum Laufen bringen wollen, was an diesem Tag nicht mehr gelingt. "Aber man will ja nicht dauernd meckern", sagt ein Fraktionsangestellter. Manche Abgeordneten hielten es für eine nationale Katastrophe, wenn ihr Telefon fünf Tage nicht funktioniere, sagt ein anderer. "Das sind die selben, die nur im Sommerloch in die Schlagzeilen kommen."

Nein, es habe keine größeren Probleme beim Umzug gegeben, sagt Winfried Wippern, der Personalverwalter. "Ich war eher erstaunt, wie gut das klappte." Und man habe sich räumlich verbessert. Wippern pendelt auch, aber nur weil er muss: Wer älter als 58 ist, darf nicht mehr umziehen. Den kürzesten Weg zum Reichstag hat die FPD, die im früheren DDR-Justizministerium an der Dorotheenstraße unterkam. Auch hier kein Abgeordneter, nur Mitarbeiter, die suchenden Blicks durch die Gänge voller Kartons laufen. Gerhardt? Rexrodt? Es sei keiner da, sagt Christine Nitsche von der Pressestelle. Es sei eben Sommerpause. Ihr gefalle es in Berlin. "Ich habe bloß das Gefühl, wenn ich hier mit Bonner Kennzeichen fahre, dass mich die anderen Autofahrer unfreundlich behandeln."

Die Grünen sitzen in der alten Generalstaatsanwaltschaft, wo zu DDR-Zeiten Hilde Benjamin residierte, ein Prachtbau mit Kreuzgewölbe und Stuck. Über den Bildschirm von Franziska Eichstädt, der Bauexpertin, laufen die Worte: "Willkommen in Berlin". Ihr Büro ist fast leer. "Die Möbelverteilung war echt surrealistisch", sagt Eichstädt. Inzwischen hätten die Grünen ein inoffizielles Möbeltauschlager, aber trotzdem fehlten Regale und Hängeregister-Schränke. "Die E-Mail geht bis heute nicht und die Telefone funktionierten zehn Tage lang nicht, da waren wir auf Handys angewiesen", sagt Mitarbeiterin Felicitas Kraus, springt dann auf und zerrt einen Mann im weißen Kittel in ihr Büro, der das Pech hatte, draußen vorbeizulaufen: "Sind Sie für die Elektrik zuständig?"

Auch für Eichstädt, die Berlinerin, ist das Arbeiten an der Spree ungewohnt. "Wenn vor dem ARD-Café am Spreeufer Korrespondenten sitzen, die ich aus Bonn kenne, ist das, als treffe man Wesen aus einer anderen Welt." Im Erdgeschoss liegt der Fraktionsraum der Grünen. Parkett, Samtvorhänge, Kronleuchter, mit Blick auf den baumbestandenen Innenhof. "Hier könnten wir doch mal ein Fest machen", sagt Eichstädt. Felicitas Kraus nickt. "Warum sollen wir hier eigentlich wieder rausgehen?" fragt sie. "Die Neubauten, die sie gerade hochziehen, sind bestimmt nicht so schön."

Eva Schweitzer

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