zum Hauptinhalt

Politik: Erste Annäherung

Merkels Warschau-Visite dient dem Kennenlernen Polens neuer Führung

Aus seiner Abneigung gegen die deutschen Nachbarn hat Polens künftiger Präsident Lech Kaczynski nie ein Hehl gemacht. Er sei „stolz“, mit keinem deutschen Politiker enge Kontakte zu pflegen, bekannte er vor wenigen Wochen. Heute macht ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel in Warschau ihre Aufwartung. Noch im August hatte sich der 56-Jährige einem Gespräch mit der CDU-Chefin verweigert. Die erste Amtsreise Merkels nach Polen soll in erster Linie dem Kennenlernen der weitgehend unbekannten Führungsriege dienen.

Sorgfältig hatte Kaczynskis nationalkonservative Partei PiS in der Opposition ihre antideutsche Haltung kultiviert – und mit Ausfällen gegen Deutschland im Wahlkampf gepunktet. Wie Kaczynski, der noch nie in Deutschland war, ist das ungeliebte Nachbarland vielen PiS-Politikern völlig unbekannt.

Inzwischen sendet Warschau versöhnliche Signale aus. Auf der Regierungsbank beginnt es allmählich auch den patriotischen Eiferern zu dämmern, dass dem größten Netto-Empfänger der Europäischen Union durchaus an guten nachbarschaftlichen Beziehungen zum größten Nettozahler liegen sollte. Bereits nach seinem Wahlsieg im Oktober stimmte Kaczynski, der sich als Warschaus Oberbürgermeister drei Jahre jeder Einladung in die Partnerstadt Berlin widersetzt hatte, mildere Töne an. Er sei ein „Partner und Freund Deutschlands“, offenbarte er in der „Bild“ ein erstaunliches Wandlungsvermögen. Der Krieg liege 60 Jahre zurück: „Ressentiments dürfen nicht bleiben.“

Nachkarten wird die von Außenminister Frank-Walter Steinmeier begleitete Merkel in Warschau kaum. Doch die antideutschen Schienbeintritte und das Wahlkampfgepolter der PiS dürfte die Kanzlerin beim Treffen mit Kaczynski schon zur Sprache bringen.

Die Kurskorrektur der polnischen Regierung wird in Berlin mit Zufriedenheit registriert. Neugierig sind die Nachbarn jedoch, ob den beschwichtigenden Worten nun auch die entsprechenden Taten folgen werden.

Polen ist vor allem an einer Unterstützung Berlins im Streit um das EU-Budget gelegen: Vehement widersetzt sich Warschau dem Anliegen Londons, den „Briten-Rabatt“ auf Kosten der Neumitglieder zu erhalten. Ansonsten dürften bei den Gesprächen mit Premier Kazimierz Marcinkiewicz und Außenminister Stefan Meller die polnischen Reparationsforderungen, die deutsche Russlandpolitik und das Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen eine Rolle spielen. Dass entsprechende Pläne der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, derzeit auf Eis liegen, wird in Warschau erleichtert aufgenommen. Berlin zeigt sich indes besorgt, dass die PiS selbst den Ausdruck der „Vertriebenen“ weiter in Frage stellt. Klärende Worte erwartet die Kanzlerin auch in Sachen des „Europäischen Netzwerks für Erinnerung“, das beide Staaten im Frühjahr dieses Jahres als gemeinsame Alternative zu dem Vertriebenen-Zentrum aus der Taufe hoben. In der Opposition hatte die PiS das Projekt stets resolut abgelehnt.

Thomas Roser[Warschau]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false