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Politik: „Es gibt eine Aufbruchstimmung“

Minister Horst Seehofer über Gesundheit, Lebensmittel, Wohlfühltermine – und seine Disziplin im Kabinett

Herr Seehofer, die Ärzte gehen auf die Straße und protestieren für eine bessere Bezahlung. Sind Sie froh, dass Sie Verbraucher- und nicht Gesundheitsminister sind?

Ich bin über meinen Job nicht unglücklich.

Haben die Ärzte denn Recht?

Viele ärztliche Leistungen werden nicht mehr angemessen honoriert. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Seit zwei Jahrzehnten öffnet sich die Schere: Der medizinische Bedarf der Bevölkerung und die Ärztehonorare laufen auseinander. Der Hausarzt auf dem Land und der Assistenzarzt im Krankenhaus verdienen zu wenig. Da darf es uns nicht wundern, wenn junge Ärzte lieber in die Wirtschaft oder ins Ausland gehen. Die nächste Gesundheitsreform muss wieder einen freien und motivierten Arztberuf schaffen.

Bei der Gesundheitsreform sind Union und SPD weit auseinander. Glauben Sie, dass die große Koalition 2006 eine Gesundheitsreform hinbekommt?

Wir werden etwas sehr Vernünftiges hinbekommen.

Werden Sie sich bei der Gesundheitsreform einmischen?

Meine Partei, die CSU, muss sich ja auch eine Meinung bilden. Und weil ich dort stellvertretender Parteichef bin und Vorsitzender der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft, werde ich an der Meinungsbildung mitwirken.

Müssen Privatpatienten künftig einen stärkeren Beitrag leisten, wie die SPD fordert?

Ich entwerfe doch jetzt keine Gesundheitsreform. Das muss in den nächsten Monaten organisch hinter verschlossenen Türen entwickelt werden. Sonst wird das nichts.

Kommen wir zu Ihren Zuständigkeiten. Es war ein ungewohnter Anblick: Horst Seehofer als Landwirtschaftsminister auf der Grünen Woche. Haben Sie sich schon daran gewöhnt?

Ja, sehr schnell. Ich habe ja schon viele Messen eröffnet. Aber ich habe selten eine Messe erlebt, die von so einer Optimismuswelle begleitet war.

Weil die Bauern froh waren, dass der Minister jetzt Horst Seehofer heißt und nicht mehr Renate Künast?

Meine politischen Aussagen haben vielleicht auch zu der guten Stimmung beigetragen. Aber ich glaube, dass es eine Aufbruchstimmung in der Bevölkerung gibt. Es findet das statt, was Roman Herzog in seiner Berliner Ruck-Rede eingefordert hat: Die Menschen trauen sich etwas zu, wollen etwas anpacken.

Aufbruchstimmung bei den Anbietern oder den Verbrauchern?

Bei allen. Bei den bäuerlichen Unternehmern, der Ernährungswirtschaft und den Verbrauchern. Ich habe auf der Grünen Woche Landwirte getroffen – ich weiß nicht, ob es Ökobauern oder konventionelle Landwirte waren –, und die haben mir zugerufen: „Wir packen’s jetzt an.“

Bei den Ökobauern könnte das auch eine Kampfansage sein. Sie gelten als Freund der konventionellen Landwirtschaft.

Ich habe auf der Grünen Woche den Ökoanbieter Neuland besucht. Die Halle war sehr gut besucht, und der Umgang war ungewöhnlich freundlich. Es gab überhaupt keine Misstöne. Das war für mich ein Wohlfühltermin.

Haben Gammelfleisch-Skandal und Vogelgrippe das Wohlgefühl nicht getrübt? Was wollen Sie tun, um Lebensmittel in Deutschland wieder sicherer zu machen?

Beim Gammelfleisch waren schwarze Schafe im Spiel. Dahinter steckten keine mafiösen Strukturen und kein Netzwerk, sondern Einzelgänger, die mit ihrer Raffgier Geschäfte gemacht haben und mit aller Härte zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Und die Vogelgrippe?

Die Vogelgrippe liegt nicht an einem Fehlverhalten, das wir uns hier in Europa vorwerfen lassen müssen. Sie ist eine gefährliche Tierseuche, die aus dem asiatischen Raum kommt und leider durch die Zugvögel bis an die Grenzen Europas vorgedrungen ist. Die Vogelgrippe ändert aber nichts an der Tatsache, dass unsere Lebensmittel grundsätzlich sicher sind. Die Menschen leben immer länger und immer gesünder. Das liegt auch an der guten Qualität der Lebensmittel. Wir haben keinen Anlass, uns jeden Tag darüber zu unterhalten, welches angebliche Gift wir zu uns nehmen.

Aber das Ihnen unterstellte Bundesamt für Verbraucherschutz hat doch erst kürzlich eine Studie vorgestellt, nach der zahlreiche Lebensmittel – vor allem Obst und Gemüse – mit Pestiziden verseucht sind. Das Amt rät, Bioprodukte zu kaufen.

Ich habe nichts gegen Bio. Jeder soll selbst entscheiden, was er kauft. Ich bin nicht der Vormund des Verbrauchers. Wir müssen dafür sorgen, dass alles, was der Verbraucher kauft, sicher ist – egal, was es kostet.

Wir wollen Sie es schaffen, dass auch Billig-Lebensmittel gesundheitlich unproblematisch sind?

Es wird immer Menschen geben, die versuchen, mit möglichst wenig Aufwand möglichst große Geschäfte zu machen. Deshalb ist die Lebensmittelkontrolle ein ganz wichtiger Punkt. Sie gewährleistet Sicherheit.

Brauchen wir mehr Kontrollen?

Wir müssen vor allem darüber sprechen, wie wir die Qualität und die Effizienz der Kontrollen steigern können. Etwa durch Fortbildungen oder Schulungen. Außerdem gibt es ja auch unter den Kontrolleuren vereinzelt Fehlverhalten. Man sollte auch bei der Lebensmittelkontrolle das Rotationsprinzip einführen, so wie man es von den Finanzämtern kennt.

Sie meinen, es sollte nicht immer ein- und derselbe Prüfer einen bestimmten Betrieb kontrollieren.

Ja. Wenn man jahrelang immer dieselben Betriebe prüft, ist das nicht gut.

Müssen die Verbraucher bereit sein, mehr Geld für Lebensmittel zu zahlen, um gute Ware zu bekommen?

Ich sehe keinen Gegensatz zwischen preisgünstig und sicher. Der Bürger muss sich darauf verlassen können, dass auch ein preisgünstiges Lebensmittel sicher ist. Wir wollen das jetzt auch gesetzlich festlegen: Wir wollen verbieten, dass Händler Waren unter Einstandspreis, also unter ihrem Selbstkostenpreis, anbieten. Das war zwar auch bisher nur in Ausnahmefällen möglich, diese Ausnahmen jedoch wurden vielfach missbräuchlich genutzt.

Das neue Gesetz soll sichere Lebensmittel also noch sicherer machen?

Sicherer als sicher geht nicht. Wir sind schon gut, aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte. Jetzt geht es darum, dass die hohen Sicherheitsstandards in der Praxis auch lückenlos eingehalten werden.

Der Handel ist sauer und wirft Ihnen vor, dass Sie Sonderaktionen verbieten.

Wir verbieten doch keine Sonderangebote. Aber wenn ein kapitalkräftiger Konzern Lebensmittel unter Einstandspreis anbietet, dann besteht die Gefahr, dass Lieferanten bestimmte Standards nicht mehr einhalten, um im Geschäft zu bleiben. Ich habe nichts dagegen, wenn eine Stereoanlage unter dem Selbstkostenpreis verkauft wird, aber dort, wo es um die Gesundheit der Menschen geht, ist das etwas anderes.

Sie haben Ihr Ministerium umbenannt: An erster Stelle stehen nun Ernährung und Landwirtschaft, nicht mehr die Verbraucher. Eine neue Priorität?

Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz. Das ist streng alphabetisch. Ein objektiveres Kriterium gibt es nicht. Das soll zeigen, dass ich niemanden bevorzuge. Ich möchte einen partnerschaftlichen Umgang.

Was sind die wichtigsten drei Projekte, die Sie als Verbraucherminister in dieser Legislatur vorantreiben wollen?

Erstens müssen wir an der Hochwertigkeit und Sicherheit unserer Nahrungsmittel weiter arbeiten. Zweitens werde ich mich verstärkt um den Zusammenhang Ernährung und Bewegung kümmern. Drittens will ich alle Themen begleiten, über die Verbraucher sich ärgern. Ein Beispiel: Wir haben den Streit zwischen den Verbraucherzentralen und dem Deutschen Fußball-Bund über die Vergabe von WM-Karten geschlichtet.

Die Leute regen sich auch über die hohen Strom- und Gaspreise auf.

Die Bundeskanzlerin lädt zu einem Energiegipfel ein, bei dem es um die langfristige Sicherheit der Energieversorgung geht, aber auch darum, wie Energie in Deutschland bezahlbar bleibt. Da ich für nachwachsende Rohstoffe zuständig bin, werde ich dazu meine Meinung einbringen.

Werden Sie den Energiekonzern-Managern die Meinung sagen?

Deutliche Worte gibt es schon genug aus den Bundesländern.

Frau Künast hat sich plakativ vor die Verbraucher gestellt. Sie wollen das nicht tun?

Ich bin ein ergebnisorientierter Politiker, der seine Verhandlungspartner nicht als Gegner einstuft. Ich halte nichts von Überschriften und schnittigen Formulierungen. Man hat am ehesten Erfolg, wenn man partnerschaftlich miteinander umgeht.

Mit Ihrem Koalitionspartner SPD gehen Sie auch partnerschaftlich um. Fürchten Sie nicht, dass dabei das Profil der Union verloren geht?

Da mache ich mir überhaupt keine Sorge.

Warum nicht?

Schauen Sie sich an, wie gut die Bundeskanzlerin dasteht.

Bei den sozialen Themen gibt die SPD den Ton an: Rente, Arbeit, Gesundheit – sogar in der Familienpolitik, obwohl es dort eine CDU-Ministerin gibt.

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Union nicht das Familienministerium stellt. Die Kollegin Ursula von der Leyen hat das schon voll im Griff. Es ist doch normal, dass es in einer großen Koalition Diskussionen gibt. Entscheidend ist, in welchem Geist die Debatten stattfinden. Setzt man Personen herab oder ringt man um vernünftige Lösungen? Unsere Diskussionen orientieren sich immer an der Sache. Alles andere waren Falschmeldungen. Etwa dass Ulla Schmidt nicht an der Gesundheitsreform beteiligt wird. So ein Quatsch.

Wie unterscheidet sich die große Koalition von der rot-grünen Vorgängerregierung?

Es gibt eine neue Ernsthaftigkeit in der Politik. Mache Rituale werden zurückgedrängt. Und das tut der Politik und dem Land gut. Im Kabinett ist ein guter und starker Teamgeist.

Springen Union und SPD nicht spätestens im Wahlkampf in ihre Schützengräben zurück?

Die Nähe von Wahltagen führt immer zur Erhöhung des Blutdrucks. Aber deswegen muss man ja nicht den Kopf ausschalten.

Unionskollegen beschreiben Sie als einen Querkopf, der sich nichts sagen lässt. War es für Sie schwer, sich einer Kanzlerin Angela Merkel im Kabinett unterzuordnen?

Ach, wissen Sie, wir haben uns nur an einem einzigen Punkt gestritten, nämlich bei der Gesundheitsprämie. Das hat zwar zu einer erheblichen, aber nicht zu einer dauerhaften Auseinandersetzung geführt. Für mich ist das Schnee von gestern.

Frau Merkel nimmt es Ihnen nicht mehr übel, dass Sie die Gesundheitsprämie kaputt gemacht haben?

Ich habe nicht den Eindruck. Wir haben eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Mir war klar: Wenn man in ein Kabinett berufen wird, sind damit nicht nur Rechte verbunden, sondern auch Tugenden, die man einhalten muss. Teamgeist und Disziplin.

Und diese Tugenden halten Sie hoch?

Wenn man dazu nicht bereit ist, darf man in ein Kabinett nicht eintreten. Anders kann eine Regierung nicht funktionieren. Das heißt aber nicht, die eigene Meinung an der Garderobe abzugeben.

Das Interview führten Cordula Eubel, Heike Jahberg und Flora Wisdorff. Das Foto machte Mike Wolff.

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