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Politik: „Es gibt klaren Schub für Reformen“

Russlandexperte Rahr über Putins Kronprinz Medwedjew und eine neue Ära

Wer ist Dmitri Medwedjew?

Medwedjew attackiert den Westen überhaupt nicht, sondern macht ihm sogar Offerten. Möglicherweise haben wir es mit einer neuen Westöffnung zu tun. Medwedjew ist mit 42 Jahren aber auch sehr jung. Putin wird das Land wohl als Übervater regieren. Das gibt ihm die Möglichkeit, nach ein oder zwei Jahren als eine Art Deng Xiaoping hinter den Kulissen zu agieren. Es könnte aber auch sein, dass er irgendwann Medwedjew rauswirft und selber wieder Präsident wird. Die Medwedjew-Variante garantiert zudem, dass die Geheimdienstler von der Macht ferngehalten werden. Es wird einen Elite- und Generationswechsel geben. Medwedjew nimmt seine Leute in den Apparat mit: Das sind Juristen, mit denen er aufgewachsen ist. Diese Leute werden mehr soziale Marktwirtschaft und mehr Rechtsstaatlichkeit fordern. Diese Entwicklung will Putin fördern.

Putin selbst tritt in letzter Zeit dagegen antiwestlich wie eh und je auf. Spielt Medwedjew die Rolle des Beschwichtigers?

Im Duma-Wahlkampf hat Putin tatsächlich sehr scharf gegen die Liberalen geschossen. Nach den Wahlen hat er dann plötzlich den liberalstmöglichen Kandidaten zum Nachfolger küren lassen. Medwedjew als Beschwichtiger mag eine These sein, aber am Ende muss sich eine Linie durchsetzen.

Wie stehen die Chancen für einen wirklichen Richtungswechsel?

Putin hat die Angriffe auf die Liberalen seit der Parlamentswahl nicht wiederholt. Zur Außenpolitik hat er sich wenig geäußert. Auch Medwedjew äußert sich da undeutlich, in der Wirtschafts- und Innenpolitik ist er aber klar liberaler als Putin.Die Abkehr von Kalter-Krieg-Rhetorik, die wir vor einem Jahr gespürt haben, hat aber mit der Ernennung Medwedjews zu tun: Bush forciert die Raketenabwehr nicht mehr, es gibt eine rationalere Haltung Amerikas zu Russlands Kooperation mit dem Iran. Gleichzeitig kündigt Russland an, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo nicht automatisch zu einer Anerkennung Abchasiens, Transnistriens oder Südossetiens führen wird. Das ist ein neuer Ton. Den Moskau-Besuch des polnischen Ministerpräsidenten kann man fast schon historisch nennen. Die Töne gegenüber der Ukraine sind mit 2006 nicht zu vergleichen. Alles in allem signalisiert Russland Bereitschaft zur strategischen Partnerschaft und eine Abkehr von den Extrempositionen.

Unter Putin sind die Geheimdienstler zur staatstragenden Macht geworden. Nun installiert er Medwedjew, um ihren Einfluss zurückzudrängen. Erwarten Sie Konflikte?

Die These, Russland sei ein Geheimdienststaat, stimmt nicht. Putin hat immer eine Balance gehalten zwischen Geheimdienstlern und Reformen. In letzter Zeit schwächelten die Reformer, verschwanden aber nicht. Mit der Ernennung Medwedjews gibt es wieder einen ganz klaren Schub für die Reformer und Modernisierer. Das bedeutet aber nicht, dass die Silowiki, die Geheimdienstler, von der Bühne verschwinden.

Mit Rahr sprach Moritz Gathmann.

Alexander Rahr (48) ist Russlandexperte und Programmdirektor Russland/Eurasien bei der Deutschen

Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er ist unter anderem Autor einer Biografie Putins.

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