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Politik: „Es war ein Mann mit eisernen Nerven“

Heide Simonis über den Abgeordneten, der sie stürzte – und Entzugserscheinungen von der Politik

Frau Simonis, sind Sie noch verbittert?

Nein, nicht mehr. Ich weiß auch gar nicht, ob ich richtig verbittert war. Ich war wütend. Ich fühlte mich wie mit dem Hammer vor den Kopf geschlagen. Ich hätte denjenigen, der mir das angetan hat, damals gerne kräftig durchgeschüttelt.

Die betreffende Person hat Ihnen am 17. März im Kieler Landtag in vier Wahlgängen die Stimme verweigert. War Ihnen damals sofort klar, dass mit Ihrem Sturz auch Rot-Grün zu Ende gehen würde?

Wir wussten schon vorher, dass eine Niederlage in Schleswig-Holstein der Anfang vom Ende sein würde. Deshalb haben wir ja so einen Wahlkampf geführt, mit ganzer Kraft und voll auf mich zugeschnitten, aber auch mit wichtigen Inhalten: Schulreform, Steuerreform, Bildungsreform und andere.

Vier Mal im Landtag gescheitert – wie haben Sie diese Demütigung verarbeitet?

Zum Glück hat mein Mann gleich vorgeschlagen, in der Toskana Urlaub zu machen. Das hat mir sehr gut getan. Zurück in Kiel habe ich mir Aufgaben gesetzt. Ich habe Computerunterricht genommen und angefangen, meine Sachen zu sortieren. Wenig später kam das Angebot von Unicef, Vorstandsmitglied zu werden und später den Vorsitz des deutschen Komitees zu übernehmen.

Sie hatten keine Entzugserscheinungen?

Doch, natürlich. Mein Tag war von einem auf den anderen Moment nicht mehr strukturiert. Ich musste nicht mehr zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein. Das ist sehr irritierend, wenn man fast 13 Jahre lang Ministerpräsidentin war und zwölf Termine am Tag hatte. Da hat mir am Anfang richtig was gefehlt.

Wie oft haben Sie sich gefragt, wer der Heide-Mörder war?

(lacht) Heide-Mörder – das war das Einzige, was ich wirklich witzig fand. Ich wusste für mich relativ schnell, wer es war. Das kann ich aber nicht beweisen.

Wer war es denn?

Es war jemand aus der SPD, der mir etwas mitteilen wollte. Der wollte seine Stimme nicht der CDU geben. Deshalb hat er sich enthalten. Er wollte das ganz allein mit mir ausmachen.

Was haben Sie demjenigen wohl angetan?

In einer so langen Amtszeit gibt es genügend Situationen – und da fallen mir auch welche ein – in denen Sie jemanden kränken, ihm ein Amt nicht geben, es ihm wieder nehmen. Es bleiben leider immer welche am Wegesrand stehen. Für manchen ist das eine nicht verzeihbare Kränkung.

Kommen dann nicht mehrere SPD-Abgeordnete in Frage?

Nein, ich bin mir sicher, dass es die eine bestimmte Person gewesen ist. Manche sagen, so böse könne nur eine Frau gewesen sein. Das behaupten vor allem Männer. Ich glaube aber nicht, dass Frauen so etwas machen würden, auch wenn sie bösartig sein können. Es muss ein Mann mit eisernen Nerven gewesen sein.

Das von Ihnen angestrebte Dreier-Bündnis mit dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) war von Anfang an umstritten. Dennoch haben Sie eine große Koalition damals mit dem Satz abgetan: „Und was wird aus mir?“ Reut Sie das heute?

Die Aufregung über diesen Satz kann ich nicht ganz verstehen. Am Tag nach der Wahl hatte sich überraschend die Möglichkeit für ein Bündnis von SPD, Grünen und SSW aufgetan. Und da fragte mich ein Journalist: Warum geben Sie nicht auf? Da ist mir rausgeflutscht: Und was wird aus mir? Wäre ich ausgeschlafen gewesen und hätte es am Wahlabend nicht eine solche Himmel- und Talfahrt gegeben, hätte ich das sicher anders formuliert.

Der Satz hat Ihnen den Beinamen „Pattex-Heide“ eingebracht.

Das hat wehgetan. Nach der Bundestagswahl ist ja auch niemand auf die Idee gekommen, Frau Merkel irgendwelche Vorwürfe zu machen, als sie trotz des für sie unerfreulichen Ergebnisses sagte: Ich bin die Kanzlerin, basta. Es ist übrigens ihr gutes Recht, es so zu machen. Es kommt in einem solchen Moment darauf an, wer die besseren Nerven hat.

Sie sind eine erklärte Gegnerin großer Koalitionen. Welche Fehler von Schwarz-Rot in Schleswig-Holstein sollten Union und SPD im Bund eine Warnung sein?

Ich hoffe, es ist dem Bund eine Warnung, dass hier das Parlament in der Öffentlichkeit kaum mehr stattfindet. In Kiel sind die Fraktionen des Landtags irgendwie sprachlos. Die Opposition muss auf die Straße gehen, wenn sie gehört werden will. Das kann auch im Bund passieren Die Linkspartei wird sich diese Chance nicht entgehen lassen und versuchen, diese Wasser auf ihre Mühlen zu leiten Das kann die parlamentarische Demokratie auf Dauer schwächen.

Glauben Sie, dass Schwarz-Rot in Berlin die volle Wahlperiode durchhält?

Es wird auf jeden Fall nicht einfach, auch wenn der Start außenpolitisch kein schlechter war. Im Moment haben sich zwar alle schrecklich lieb. Aber die grundsätzlichen Unterschiede, die im Wahlkampf deutlich wurden, sind ja noch da. Das wird beim Wähler ein Eigenleben entfalten. Die SPD hat im Wahlkampf gesagt, eine Mehrwertsteuererhöhung sei das Unsozialste überhaupt. Spätestens wenn 2007 die höhere Belastung spürbar wird, werden das einige Wähler der SPD übel nehmen.

Welches Thema könnte zur Sollbruchstelle der großen Koalition werden?

Die Arbeitsmarktfragen, und zwar nicht wegen des Kündigungsschutzes. Die Union hat ihren Wählern weiter gehende Reformen versprochen, zum Beispiel die Aufweichung der Tarifautonomie durch betriebliche Bündnisse. Irgendwann wird Frau Merkel liefern müssen. Dann wird es eng.

Sie haben mal gesagt: Frauen werden in der Politik nur etwas, wenn Männer die Sache in den Sand gesetzt haben. Was hat Gerhard Schröder falsch gemacht?

Bevor Angela Merkel Kanzlerin werden konnte, mussten erst einmal zwei Männer in der Union scheitern – Helmut Kohl und Edmund Stoiber.

Über Schröders Fehler wollen Sie nicht sprechen?

Es gab handwerkliche Fehler in der Reformpolitik. Außerdem kam die Agenda 2010 im Jahr nach der Wiederwahl deutlich zu spät und man sollte Reformvorhaben auch nicht mit dem Namen eines Managers versehen. Aber immerhin: Im Gegensatz zu anderen hat er es überhaupt angepackt. Die große Koalition sollte deshalb all ihre Vorhaben schnell angehen. Sie darf nicht noch einmal den Fehler von Rot-Grün machen und zu langsam eins nach dem anderen auf den Weg bringen.

Hoffen Sie, dass sich mit einer Frau im Kanzleramt etwas am politischen Stil in diesem Land ändert?

Bisher hat sich nicht viel geändert. Natürlich hat Angela Merkel einen anderen Stil als der Altbundeskanzler. Aber ich habe meine Zweifel, dass sie viel für Frauen bewegen wird. Bisher ist sie jedenfalls nicht aufgefallen als eine Politikerin, die den Menschen zeigt: Ich nehme eure Probleme ernst.

Was stört Sie an Merkels Politikstil?

Sie tritt sehr männlich auf. Sie ist eine kühl kalkulierende Naturwissenschaftlerin, die sich an Möglichkeiten orientiert und nicht so sehr in Visionen denkt. Ihre Regierungserklärung war ein Ausbund an Nüchternheit. Ob sie die Menschen auf diese Weise von den Reformnotwendigkeiten überzeugen kann, wage ich zu bezweifeln. Aber im Allgemeinen glaube ich schon, dass Frauen sich leichter in die Lage anderer Menschen hineindenken und sie besser für Reformen gewinnen können.

Gibt es denn eine SPD-Politikerin, die das Zeug zur Kanzlerin hätte?

Im Prinzip haben alle Frauen, die es in der Politik irgendwie zu etwas gebracht haben, auch das Zeug zur Kanzlerin. Es ist nur keine Sozialdemokratin auf den Prüfstand gestellt worden.

Es fällt schwer, sich Brigitte Zypries oder Ulla Schmidt als Kanzlerin vorzustellen.

Warum eigentlich nicht? Die Frage stellt sich wohl erst in vier Jahren und wer weiß, wie dann der eine oder andere Mann dasteht. Ich mache mir keine Sorgen, dass nicht überall gute Frauen ihre Chancen wahrnehmen können.

Wenn es bei den Bundestagswahlen 2009 eine SPD-Spitzenkandidatin gäbe, würden Sie dann noch einmal für die SPD in den Wahlkampf ziehen?

Natürlich kann ich mir das vorstellen. Keinen richtigen Wahlkampf, aber vielleicht Beratung und Unterstützung. Es darf aber nicht der Eindruck entstehen: Die Simonis kann es immer noch nicht lassen.

Die Fragen stellten Cordula Eubel und Stephan Haselberger. Das Foto machte Insa Korth.

ZUR PERSON

DIE KOSMOPOLITIN

Bevor Heide Simonis (62) in die Politik ging, arbeitete sie als Lehrerin in Sambia und in Tokio. Die Diplomvolkswirtin hat aber auch in Deutschland einige Berufserfahrung gesammelt: als Berufsberaterin am Arbeitsamt in Kiel.

DIE HAUSHÄLTERIN

1976 zog Heide Simonis das erste Mal in den Bundestag ein. Sie gehörte elf Jahre lang dem Haushaltsausschuss an.

DIE LANDESMUTTER

1988 ging Simonis in die Landespolitik in Schleswig-Holstein, zunächst als Finanzministerin. 1993 wurde sie die erste Ministerpräsidentin in Deutschland – und blieb es bis 2005. Im kommenden Jahr wird sie Chefin von Unicef Deutschland.

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