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Politik: Eskalation der Eskalation

Eine Steigerung der Gewalt im Irak schien kaum möglich – bis zur Sprengung der „goldenen Moschee“

Von Frank Jansen

Berlin - Der Anschlag auf die „goldene Moschee“ in der irakischen Stadt Samarra ruft in deutschen Sicherheitskreisen Unruhe hervor. Obwohl angesichts der zahllosen Attentate kaum noch eine weitere Eskalation im Irak vorstellbar sei, gebe es mit dem Angriff auf das Heiligtum der Schiiten „jetzt doch eine“, sagt ein Experte. Zu befürchten seien vor allem Vergeltungsschläge schiitischer Fanatiker gegen sunnitische Moscheen. Damit wachse das Risiko eines Bürgerkrieges zwischen Sunniten und Schiiten, wie ihn der aus Jordanien stammende, sunnitische Terroristenanführer Abu Mussab al Sarkawi anstrebe. Eine weitere Destabilisierung des Iraks durch noch mehr Terror gilt auch als potenzielle Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik.

Nach Ansicht deutscher Sicherheitsexperten passt der Anschlag auf die Moschee in die Strategie Sarkawis, auch wenn die Vorgehensweise von den üblichen Angriffen seiner Terrorgruppe abweicht. Die Attentäter hatten die Wachen vor der Moschee gefesselt, Sprengstoff in dem Gebäude deponiert und gezündet. Bislang haben Sarkawis Leute sich bei Anschlägen meist selbst in die Luft gejagt, oft in mit Sprengstoff gefüllten Fahrzeugen, Sicherheitspersonal wurde wahllos getötet. Möglicherweise habe nun eine Untergruppe von Sarkawis Netzwerk zugeschlagen, hieß es in deutschen Sicherheitskreisen. Vermutlich wollte Sarkawi nicht direkt in Erscheinung treten, da er auch bei den Sunniten im Irak zunehmend auf Widerstand stößt. In Samarra gibt es Spannungen zwischen Anhängern Sarkawis und anderen Gruppen des sunnitischen Widerstands. Und in Ramadi lieferten sich die Rivalen blutige Kämpfe. Nach einem Attentat in der Stadt, bei dem 42 sunnitische Rekruten der Sicherheitskräfte getötet wurden, wandten sich mehrere Clans gegen den „Fremden“ Sarkawi. Geistliche riefen dazu auf, ihn aus dem Irak zu vertreiben.

Auch der brutale Feldzug, den Sarkawi gegen die Schiiten führt, stößt bei vielen Sunniten auf Kritik. Der Jordanier ist wahrscheinlich für schwere Anschläge verantwortlich, die unter anderem in den von Schiiten bewohnten, als heilig geltenden Städten Kerbela und Nadschaf verübt worden. Dabei kamen hunderte Menschen ums Leben. Sarkawi, der seine Vereinigung bis zum Jahreswechsel „Al Qaida des heiligen Krieges im Zweistromland“ nannte, hat mehrmals den Schiiten den Krieg erklärt. Das ging selbst Al Qaida zu weit: Der Vizechef des Terrornetzes, Aiman al Sawahiri, übte im Juli 2005 in einem Brief an Sarkawi Kritik an dessen brutalem Feldzug gegen die Schiiten im Irak. Der Streit hatte Folgen: Seit mehreren Wochen verzichtet Sarkawi in Bekennerschreiben auf den „Markennamen“ Al Qaida. Der Jordanier hat jetzt eine Art Dachorganisation gegründet, die sich „Rat der Mudschaheddin“ nennt.

Mit dem Anschlag auf die „goldene Moschee“ von Samarra wachse auch die Gefahr, dass Schiiten eine Art „counter terrorism“ veranstalten, sagen deutsche Sicherheitsexperten. Ansätze seien bereits zu beobachten. So gelten Berichte, wonach sich in der schiitisch dominierten Polizei des Irak Todesschwadronen gebildet hätten, als glaubwürdig. Sie sollen bereits zahlreiche Sunniten, auch Geistliche, ermordet haben. Die Mitglieder dieser Schwadronen rekrutieren sich vor allem aus früheren Milizionären der „Badr-Brigaden“, die in die Sicherheitskräfte aufgenommen wurden.

Das Terrorpotenzial radikaler Schiiten könnte noch zunehmen, wenn die libanesische Hisbollah sich stärker im Irak einschaltet. Die von Iran aufgebaute „Partei Gottes“ hat im Jahr 1983 mit verheerenden Anschlägen eine von den USA geführte Friedenstruppe aus Libanon vertrieben. Die Hisbollah hat nach Informationen westlicher Geheimdienste auf Anordnung Irans schiitischen Extremisten im Irak Waffen geliefert. Da fragen sich Experten nun, was Iran als selbsternannte Schutzmacht der irakischen Schiiten nach dem Anschlag in Samarra unternimmt - oder unternehmen lässt. Zum Beispiel durch die Terrorprofis der Hisbollah.

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