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EU: „Barroso ist unbelehrbar“

Der EU-Politiker Schulz über den Kommissionschef und den Rückzug der Kandidatin Rumiana Jeleva.

Welchen Eindruck haben Sie von den designierten EU-Kommissaren, die sich in dieser und der vergangenen Woche den Anhörungen im EU-Parlament gestellt haben?


Die Anhörungen haben das gleiche Bild gebracht wie in früheren Jahren. Es gibt sehr gute, herausragende Bewerberinnen und Bewerber. Es gibt eine Reihe von guten Leuten und einen großen Anteil von zufriedenstellenden künftigen Kommissionsmitgliedern. Auffällig ist aber auch, dass sich selbst erfahrene Leute wie die designierte niederländische Kommissarin Neelie Kroes und ihr finnischer Kollege Olli Rehn ein Schweigegelübde auferlegt haben, was die künftige Ausrichtung der Kommission angeht. Das ist sicher darauf zurückzuführen, dass Kommissionschef Barroso ihnen einen Maulkorb verpasst hat. Hier wird sichtbar, dass Barroso eine ganz bestimmte Strategie im Kopf hat – nach dem Prinzip: „Was in dieser Kommission in meiner zweiten Amtszeit geschieht, bestimme ich.“

Hat es Sie überrascht, dass der CDU-Mann Günther Oettinger, der Energiekommissar werden soll, bei seiner Anhörung sogar die Grünen überzeugen konnte?

Oettinger hat eine der wirklich guten Vorstellungen hier hingelegt. Er hat wenigstens ein eigenes Profil, was er sich auch leisten kann. Möglicherweise hat Barroso bei einem deutschen Kommissar auch mehr Hemmungen, Weisungen zu erteilen.

Welche Impulse soll Oettinger in der europäischen Energiepolitik geben?


Ich erwarte, dass es in der Frage der Energiesicherheit, die wesentlich mit dem Verhältnis zu unseren östlichen und südlichen Partnern zusammenhängt, weniger ideologische Aufladung und mehr Pragmatismus geben wird. Zudem sollte sein energiepolitisches Ressort mit der Industrie- und Umweltpolitik verknüpft werden. Darin liegt übrigens auch eine der Nachlässigkeiten von Frau Merkel. Man hätte beim Zuschnitt von Oettingers Ressort sicher mehr heraushandeln können. Denn dass Energiepolitik ursächlich auch Umwelt- und Industriepolitik ist, das ergibt sich ja von selbst. Statt die damit zusammenhängenden Fragen ressortübergreifend zu lösen, sind sie in der Brüsseler Kommission nach wie vor zergliedert. Das ist ein Problem.

Eine Woche nach der Anhörung vor dem EU-Parlament hat die bulgarische Kandidatin Jeleva ihren Rückzug erklärt. Ihr war unter anderem vorgeworfen worden, Nebeneinkünfte verschwiegen zu haben. Was bedeutet der Rückzug für das Europaparlament und Kommissionschef Barroso?

Das Parlament ist durch diese Auseinandersetzung gestärkt. Für Barroso bedeutet der Vorgang eine Niederlage, die er sich und Frau Jeleva hätte ersparen müssen. Ich habe Barroso schon zu Beginn der vergangenen Woche darauf hingewiesen, dass er gut beraten sei, mit der bulgarischen Regierung und mit Frau Jeleva zu reden. Stattdessen ist er am Wochenende noch einmal in die Offensive gegangen und hat alle attackiert, die an Frau Jeleva Kritik geübt haben. Ich kenne wenige Leute, die zweimal mit dem Kopf gegen die gleiche Wand laufen. Barroso gehört zu dieser Gruppe.

Es ist nicht das erste Mal, dass Barroso Kandidaten für seine Kommission wegen des Widerstands im Europaparlament wieder zurückziehen muss. 2004 ist ihm Ähnliches passiert, als die EU-Abgeordneten die geplante Ernennung des Italieners Rocco Buttiglione und der Lettin Ingrida Udre verhinderten. Ist es eigentlich ein Manko, dass es nach den EU-Verträgen dem Europaparlament nicht möglich ist, einzelnen EU-Kommissaren das Misstrauen auszusprechen?


Die Anhörung von Frau Jeleva hat auch wieder eindeutig bewiesen, dass das ein Schwachpunkt ist. Man kann diesem Defizit dadurch abhelfen, dass man einen Kommissionspräsidenten ermuntert, sein Versprechen einzuhalten – nämlich einen Kandidaten dann zurückzuziehen, wenn er im Anhörungsausschuss abgelehnt wird. Nur ist Barroso unbelehrbar. Das Bedauerliche daran ist, dass dieser Mann durch sein Verhalten nie so richtig zur Krisenlösung, sondern häufig zur Entstehung von Krisen beiträgt. Deshalb bin ich auch heute noch der Auffassung, dass er eigentlich nicht der richtige Mann für den Posten des Kommissionschefs ist.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

Martin Schulz ist seit 2004 Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europaparlament. Seit November ist er zudem neuer Europabeauftragter der SPD.

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