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EU: Bühne frei für den Haiku-Liebhaber

Belgien übernimmt den EU-Vorsitz – aber wegen der Krise im Land kommt die Stunde von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Der frühere belgische Premier ist lange unterschätzt worden.

Für das breite Publikum ist er immer noch ein Unbekannter. Als der Belgier Herman Van Rompuy Ende des vergangenen Jahres EU-Ratspräsident wurde, hatte er in der Öffentlichkeit schnell sein Image weg: intelligent, aber scheu und nicht unbedingt durchsetzungsstark. Wer bei dem ehemaligen belgischen Regierungschef nach Charisma suchte, entdeckte höchstens seine Vorliebe für Haiku-Gedichte, die der Vater von vier Kindern in seiner Freizeit verfasst.

Diejenigen, die den ehemaligen Vorsitzenden der Christdemokraten im niederländischsprachigen Flandern schon länger kannten, wussten es damals schon besser. Und seit einigen Wochen wächst auch im Brüsseler EU-Betrieb die Erkenntnis, dass man Van Rompuy vielleicht unterschätzt hat. Heimlich, still und leise beginnt er, dem portugiesischen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso das politische Terrain streitig zu machen. Und jetzt könnte der Belgier, der gerne hinter den Kulissen wirkt, seine Macht auch sichtbar ausbauen: Belgien, das nach den Wahlen vom Juni wieder einmal in einer politischen Krise steckt, übernimmt an diesem Donnerstag den EU-Vorsitz – und dieses Vakuum dürfte Van Rompuy für sich nutzen. Belgiens Nochregierungschef Yves Leterme gilt als „lahme Ente“, weil er nach den massiven Verlusten der Christdemokraten keine Chance mehr hat, ins Amt des Ministerpräsidenten zurückzukehren. Eine neue Regierung wird wohl frühestens im September die Geschäfte übernehmen.

Leterme wird nur so lange geschäftsführend im Amt bleiben, bis der Vorsitzende der separatistischen Partei der Flamen, Bart De Wever, gemeinsam mit den ebenfalls siegreichen Sozialisten in Wallonien eine arbeitsfähige Koalition gezimmert hat. Aber das kann angesichts der extremen Forderungen der Separatisten und der unüberbrückbar scheinenden Differenzen mit den Sozialisten im frankophonen Teil des Landes dauern. Möglicherweise wird Leterme Belgien während des gesamten Präsidentschaftshalbjahres repräsentieren.

Dass mit der belgischen Führungskrise auch die Stunde Van Rompuys kommt, liegt an dem Lissabon-Vertrag, der seit dem 1. Dezember vergangenen Jahres in Kraft ist. Der Vertrag gibt dem EU-Ratspräsidenten die Möglichkeit, zu EU-Gipfeln einzuladen und damit den glamourösen Teil des europäischen Geschäfts zu übernehmen. Während der spanischen EU-Präsidentschaft, die am Mittwoch zu Ende ging, wollte sich der ambitionierte Ministerpräsident José Luis Zapatero den einen oder anderen öffentlichkeitswirksamen Auftritt dennoch nicht nehmen lassen. Ein derartiges Gerangel dürfte es während des belgischen EU-Vorsitzes nun nicht mehr geben. Der scheidende Regierungschef Leterme hat bereits signalisiert, dass er sich bedeckt halten und das europapolitische Feld seinem Landsmann Van Rompuy und der britischen EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton überlassen wolle.

In den vergangenen Tagen war Leterme außerdem unablässig damit beschäftigt, die Sorge zu zerstreuen, dass ein Land ohne Regierung kaum die kriselnde EU regieren könne. Tatsächlich stehen in der Europäischen Union wichtige Entscheidungen bevor, die sich allesamt im Fünf-Punkte-Programm der Belgier wiederfinden. An erster Stelle steht die wirtschaftliche Erholung samt der Reform des Euro-Stabilitätspaktes. Als zweite Priorität hat Leterme die Regulierung der Finanzmärkte definiert – ein Bereich, in dem zwei wichtige Vorhaben zu Hedgefonds und einer EU-Finanzaufsicht derzeit im Gesetzgebungsverfahren feststecken. Für den Herbst werden hier weitere Kommissionsvorschläge erwartet. Eine endgültige Einigung über Europas neuen Auswärtigen Dienst muss genauso her wie eine klare EU-Position vor der Weltklimakonferenz im Dezember in Mexiko. Als fünfter und letzter Punkt steht die Umsetzung des ebenso umfangreichen wie umstrittenen Stockholmer Programms an, eine Kaskade von Gesetzesinitiativen im Bereich der Innen- und Justizpolitik.

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