zum Hauptinhalt
Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt die mögliche Rolle der EU-Kommission bei künftigen Verfahren gegen Defizitsünder prüfen.

© AFP

EU-Fiskalpakt: Union fürchtet sich vor Ankläger-Rolle

Am Montag soll beim EU-Gipfel der europäische Fiskalpakt unter Dach und Fach gebracht werden. In der Union herrscht Unbehagen darüber, dass dabei Berlin die Rolle des Schwarzen Peters bei möglichen Klagen gegen Defizitsünder zufallen könnte.

Von

Berlin - Manche wollten einen kleinen Aufstand erkennen, für andere war es nur eine „lange und engagierte Diskussion“. Als Angela Merkel am Dienstag der Unionsfraktion den geplanten Vertrag über den europäischen Fiskalpakt vorstellte, schlug ihr jedenfalls keine helle Begeisterung entgegen. Die Kritiker störten sich vor allem an einem Punkt des Entwurfs, den der Euro-Sondergipfel am Montag absegnen soll: Zwar soll gegen Schuldensünder im Euro-Land der Europäische Gerichtshof (EuGH) einschreiten und Strafen verhängen dürfen – aber tätig werden darf das Gericht nur, wenn ein anderer Vertragsstaat Klage erhebt.

Das klingt auf den ersten Blick logisch. Doch je genauer sich die Skeptiker ausmalten, welche Karikaturen zum Beispiel in römischen Zeitungen auftauchen würden, wenn Deutschland den Nachbarn Italien auf die Anklagebank setzen würde, um so unbehaglicher wurde es ihnen. Andere warnten, die neue Regel gehe kaum über die Überwachung des Maastricht- Vertrags hinaus, die bekanntlich daran gescheitert ist, dass keine Krähe der anderen ein Auge aushacken wollte. Von quasi-automatischen Sanktionen, fanden die Kritiker, sei das jedenfalls zu weit entfernt: Die Klage müsse eine neutrale Institution einreichen – die EU-Kommission.

Tatsächlich war die Kommission als Klagebefugte in frühen Entwürfen des Vertrags genannt. Doch in der letzten Fassung flog sie wieder raus. Dahinter stecken die Brüsseler Hausjuristen. Sie hatten schon beim Euro-Gipfel im Dezember gewarnt, dass ein völkerrechtlicher Stabilitätsvertrag zwischen einer „Koalition der Willigen“ zwar mit EU-Recht vereinbar sei, dass diese Gruppe aber nicht einfach die Institutionen der Gemeinschaft für sich einspannen dürfe. Zumindest, so das damalige Gutachten, müssten dem vorher alle 27 EU-Staaten zustimmen.

Nun ist das Verhältnis zwischen Euro-Staaten und Nicht-Euro-Staaten, namentlich Großbritannien, im Moment ziemlich belastet; es spricht wenig dafür, dass die Briten ausgerechnet denen einen Gefallen tun werden, die sie mit Finanztransaktionssteuern und ähnlichem Teufelszeug traktieren. Merkel hat, um ihre Fraktion zu beruhigen, den Abgeordneten zugesagt, die Rechtsauffassung der EU-Kommission noch einmal durch ein Gutachten überprüfen zu lassen. Dass die Juristen ihr Urteil revidieren, ist aber auch nicht sonderlich wahrscheinlich.

Deutsche Diplomaten suchen deshalb vorsorglich schon mal die Sorgen der Unionskritiker zu zerstreuen. Nach dem Vertragsentwurf prüfe die Kommission die Einhaltung der Schuldenbremse ohne weitere Aufforderung, sagt ein Mitglied der deutschen Gipfel-Delegation. Auch die Feststellung, dass ein Mitglied des Fiskalpakts die Regeln verletzt hat, treffe die Brüsseler Behörde. Nur der allerletzte Schritt, die Klage vor dem EuGH, werde „sozusagen kommissarisch“ von einem oder mehreren Staaten vollzogen. „Die Kommission ist auch in dieser Konstruktion die entscheidende Institution“, versichert der Regierungsvertreter.

Dass Länder der Euro-Zone möglichst nicht in die Lage kommen wollen, demnächst als Fiskalpakt-Sünder an den Pranger zu geraten, wurde auch beim Antrittsbesuch des konservativen spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy in Berlin deutlich. Rajoy bemüht sich, die Neuverschuldung in seinem Land in diesem Jahr auf die Marke von 4,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. So listete Rajoy am Donnerstag nach seinem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel mehrere Maßnahmen auf, die den spanischen Haushalt wieder ins Lot bringen sollen: Eine Schuldenbremse ist bereits in der Verfassung verankert, und an diesem Freitag soll ein Gesetz zur Haushaltsstabilisierung verabschiedet werden, in dem Obergrenzen für die Ausgaben auf nationaler und regionaler Ebene festgelegt werden.

Ungewiss bleibt unterdessen, wie schnell beim Euro-Sorgenkind Griechenland eine tragfähige Lösung der Schuldenkrise zustande kommt. Einerseits rangeln die Regierung in Athen und der internationale Bankenverband IIF immer noch über die Details des geplanten Schuldenschnitts. Und gleichzeitig prüft die sogenannte Troika in Athen, wie Griechenland mit den nötigen Reformen vorankommt. Der Bericht der Troika ist Voraussetzung für das zweite Griechenland-Hilfspaket mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro, dessen wesentlicher Bestandteil wiederum der geplante Schuldenschnitt ist. Merkel erklärte, dass der Bericht der Troika „nach menschlichem Ermessen“ zum Gipfeltreffen am Montag noch nicht vorliegen werde. Von daher werde man sich bei dem Treffen auf die Frage konzentrieren können, wie in Europa neues Wachstum geschaffen werden könne. Ob die brenzlige Lage im Süden der Euro-Zone am Montag nicht trotzdem die Gespräche auf den Brüsseler Korridoren beherrschen wird, steht auf einem anderen Blatt – zumal auch die Lage in Portugal den Euro-Rettern zunehmend Sorge bereitet. Für portugiesische Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit verlangten Anleger am Donnerstag Renditen bis zu 15 Prozent. Einen so hohen Zins forderten Investoren seit der Euro-Einführung bisher noch nie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false