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Politik: EU-Gipfel an Polen gescheitert

Verfassung wird vertagt / Gründerstaaten rücken noch enger zusammen / Kanzler kritisiert auch Spanien

Brüssel. Der EU-Verfassungsgipfel in Brüssel ist am Streit um neue Machtverhältnisse in der Europäischen Union gescheitert. Vor allem Polen beharrte auf seiner Stimmenzahl im EU-Ministerrat. Die Verhandlungen sollen jetzt im Frühjahr unter irischer Präsidentschaft weitergeführt werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte, entscheidend für das Scheitern sei gewesen, dass für Polen und Spanien „die nationale Frage vor der europäischen Idee“ rangiert habe. Deutschland hatte auf dem Konventsentwurf bestanden, demzufolge bei Abstimmungen sowohl die Mehrheit der Staaten als auch die Bevölkerungsmehrheit zählt.

Das Funktionieren der EU nach ihrer Erweiterung auf 25 Staaten zum 1. Mai 2004 wird nun durch den – von vielen als unzulänglich eingeschätzten – Vertrag von Nizza geregelt. Nach knapp eintägigen Verhandlungen haben sich die Gegensätze zwischen den Staaten am Samstagnachmittag als unüberbrückbar erwiesen. Sowohl Schröder als auch der polnische Ministerpräsident Leszek Miller, der von Spanien unterstützt wurde, verteidigten ihre Positionen mit aller Härte. Auch der französische Regierungschef Jacques Chirac lehnte alle Kompromissvorschläge des italienischen Ratspräsidenten Silvio Berlusconi ab, weil sie keine grundlegende Reform der europäischen Institutionen ermöglichten. Bundeskanzler Schröder sagte nach dem Scheitern der Verhandlungen, es habe sich herausgestellt, „dass es zwei Länder gab, die sich nicht bewegen wollten“. Dies habe im Falle Polens vor allem innenpolitische Gründe gehabt.

Mit dem Gipfel von Brüssel ist nach den Gipfeln von Amsterdam 1997 und Nizza 2000 der dritte Versuch gescheitert, das Machtgefüge der EU zu reformieren. Damit ist nach Auffassung Schröders ein Europa näher gerückt, das den Integrationsprozess in stark unterschiedlichem Tempo vorantreibt. „Wenn es nicht gelingt, in absehbarer Zeit eine Lösung herbeizuführen, kann es sein, dass es zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten kommt. Aber wir wünschen das nicht“, sagte er.

Einzelne Mitgliedstaaten der EU könnten sich in Zukunft auf eine engere Zusammenarbeit in einzelnen politischen Fragen verständigen. Dies ist im Bereich der Verteidigungspolitik bereits möglich. Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg hatten darüber bereits Gespräche geführt, die offen für andere Mitgliedstaaten sein sollen.

Der Ratsvorsitzende Berlusconi hatte versucht, in einem so genannten Beichtstuhlverfahren, einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Positionen herbeizuführen. „Die Positionen waren unvereinbar“, sagte er nach den Einzelgesprächen. Deutschland und Frankreich hatten uneingeschränkt an der Position festgehalten, dass künftig in der EU mit doppelter Mehrheit aus der Hälfte der Mitgliedstaaten und 60 Prozent der Bevölkerung entschieden werden soll. Polen und Spanien bestehen dagegen darauf, dass der Vertrag von Nizza gilt. Danach haben diese Länder nur zwei Stimmen weniger als Deutschland und Frankreich, obwohl sie nur etwa halb so viele Einwohner zählen. Die Bundesregierung lehnte gestern auch eine Verabschiedung der unstrittigen Teile der Verfassung und eine Vertagung der strittigen Fragen ab. Schröder sagte, es müsse „auf der Basis des Konventsergebnisses in tiefer Nachdenklichkeit und unter besseren objektiven Bedingungen“ weiterverhandelt werden. Elmar Brok, Beobachter des EU-Parlaments und Ex-Konventsmitglied sagte: „Es muss einen zweiten Versuch geben.“

Mariele Schulze Berndt[Brüssel]

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